21. Januar 2014

WACHGEKÜSST - Rossinis "Torvaldo e Dorliska" (DVD-Rezension)

Die nachfolgende Rezension von Julia Poser ist dem Mitteilungsblatt Nr. 61 der Deutschen Rossini Gesellschaft entnommen. Ich danke der Verfasserin für die Überlassung des Textes und freue mich, so auf diese unbekannte, aber sehr hörenswerte Oper Rossinis auch über den Mitgliederkreis der DRG hinaus aufmerksam machen zu können. esg 
 
Wachgeküsst

Fast ein Jahrhundert lang war Rossinis dramma semiseria Torvaldo e Dorliska im Dornröschenschlaf versunken. Zwar dirigierte Alberto Zedda 1982 im italieni­schen Rundfunk eine RAI-Übertragung, im Jahr 1992 gab es eine konzertante Aufführung in Lugano, 1995 sang William Matteuzzi beim Belcanto Festival von Dordrecht den Torvaldo und schließlich dirigierte Alessandro de Marchi die Oper bei Rossini in Wildbad, wovon es einen Naxos-Mitschnitt gibt. Der neuerliche Durchbruch geschah 2006, als im schönen alten Teatro Rossini in Pesaro eine begeistert gefeierte Aufführung die Oper zu neuem Leben erweckte.
Die Kritik in den «Notizie del Giorno» schrieb 1815 anlässlich der Römer Uraufführung allerdings, dass „die Musik von Signor Rossini nicht die Hoffnungen erfüllt hätte, die man sich davon hätte erwarten können“; auch „das sehr üble und uninteressante Libretto hätte Homer nicht aus seinem Schlaf wecken können“.
Die von der Firma Dynamic aufgenommene DVD von der Aufführung des sommerlichen ROF in Pesaro widerlegt den römischen Kritiker zur Gänze. Schon die Ouvertüre ist von besonderer Schönheit und reich orchestriert. Den drei Hauptpartien hat Rossini herrliche Arien, traumschöne, romantische Duette, ein Männerterzett, das seinesgleichen sucht, und mitreißende Finali kompo­niert. Selbst die Secco-Rezitative mit Cembalobegleitung wirken lebendig. Auch Cesare Sterbinis Libretto ist originell, und die einzelnen Personen sind treffend charakterisiert.
Erfreulich an dieser DVD ist auch, dass nach so manchen unsäglichen „Modernisierungen“ in Pesaro die fast werkgetreue Inszenierung von Mario Martone, dessen Personenführung überlegt und dynamisch ist, gefällt und Freude macht. Sergio Tramonti zaubert einen düsteren Wald als Hintergrund, davor ein großes Gitter, das den Schlosshof schützt, auf die Bühne, die noch durch einen Laufsteg rund um den Orchestergraben vergrößert wird. Manche Szenen spielen sogar im Auditorium oder direkt vor den Logen. Cesare Accettas stimmungsvolle Lichtregie und Ursula Patzaks hübsch anzusehende Kostüme erfreuen das Auge.
Michele Pertusi ist mit seinem aufregend dunkel leuchtendem Bass ein überragender Duca d‘Ordow, der mit verführerischem Timbre die von ihm begehrte Dorliska gewinnen will. Unange­strengt und klar sind seine Koloraturen, mit ungezähmter Wut in der Stimme behauptet er seine Forderung nach Hingabe. Im musikalisch einzigartigem Männerterzett ist sein temporeiches Parlan­do unübertrefflich. Den von Leidenschaft getriebenen Duca spielt er mit Bravour.
Francesco Meli als Torvaldo besitzt einen strahlenden Tenor, der mit kraftvoll heldischen, aber auch lyrischen Tönen zu überzeugen weiß. Schon von der ersten Arie an „Tutto è silenzio“ ist man vom Wohllaut der Stimme gefangen. Darina Takova in der Partie der unglücklichen Dorliska ent­täuscht zu Anfang mit herbem Sopran, unausgeglichenen Spitzentönen und verwaschenem Timbre. Erst wenn der Herzog im 2. Akt zudringlich wird, gewinnt ihre Stimme bei „morir pel caro sposo“ an Klarheit. Jetzt leuchten die Kantilenen und die Koloraturen perlen. Den Schlossverwalter Giorgio gibt der unverwüstliche Bruno Praticò mit zwar nachlassender Stimmkraft aber herrlich komischem Spiel. Jeannette Fischer singt die hilfreiche Carlotta mit vollem Mezzo. Ihre Arie „Una voce lusinghiera“ wird bei ihr zu mehr als nur einer Sorbettoarie. Auch bei Simone Alberghinis köstlicher Birnenarie, die er mit klangvollem Bass bringt, würde niemand seine Loge für ein Eis verlassen.
Victor Pablo Pérez dirigiert das exzellent spielende Orchestra Haydn di Bolzano e Trento mit rossinierfahrener Hand: Die unterschiedlichen Aspekte der halbernsten Oper differenziert er genau. Hier die dramatische Situation des gedemütigten Paares und die sadistische Perfidie des Herzogs, da der albern plappernde Giorgio, der zuletzt noch zum Retter wird. Zuverlässig singt der Prager Kammerchor unter der Leitung von Altmeister Lubomír Mátl.
Für Rossini-Liebhaber eine wertvolle Rarität!
Torvaldo e Dorliska, Dynamic 33528, 2 DVD (157'), Aufnahme vom August 2006, Teatro Rossini in Pesaro (Rossini Opera Festival). Mit Darina Takova, Michele Pertusi, Francesco Meli, Bruno Praticò, Jeannette Fischer, Simone Alberghini; Orchestra Haydn di Bolzano e Trento, Coro da Camera di Praga; Leitung Victor Pablo Pérez, Inszenierung Mario Martone. Untertitel angeblich in d|e|f|i|sp, aber auf dem besprochenen Exemplar nicht verfügbar. Booklet mit Inhaltsangabe und Begleittext von Alberto Cantù in d|i|f.
Julia Poser