Die nachfolgende Rezension von Julia Poser ist dem Mitteilungsblatt Nr. 61 der Deutschen Rossini Gesellschaft entnommen. Ich danke der Verfasserin für die Überlassung des Textes und freue mich, so auf diese unbekannte, aber sehr hörenswerte Oper Rossinis auch über den Mitgliederkreis der DRG hinaus aufmerksam machen zu können. esg
Fast ein Jahrhundert lang war Rossinis dramma semiseria Torvaldo e Dorliska im Dornröschenschlaf versunken. Zwar dirigierte Alberto Zedda 1982 im italienischen Rundfunk eine RAI-Übertragung, im Jahr 1992 gab es eine konzertante Aufführung in Lugano, 1995 sang William Matteuzzi beim Belcanto Festival von Dordrecht den Torvaldo und schließlich dirigierte Alessandro de Marchi die Oper bei Rossini in Wildbad, wovon es einen Naxos-Mitschnitt gibt. Der neuerliche Durchbruch geschah 2006, als im schönen alten Teatro Rossini in Pesaro eine begeistert gefeierte Aufführung die Oper zu neuem Leben erweckte.
Die Kritik in den
«Notizie del Giorno» schrieb 1815 anlässlich der Römer
Uraufführung allerdings, dass „die Musik von Signor Rossini nicht
die Hoffnungen erfüllt hätte, die man sich davon hätte erwarten
können“; auch „das sehr üble und uninteressante Libretto hätte
Homer nicht aus seinem Schlaf wecken können“.
Die von der Firma
Dynamic aufgenommene DVD von der Aufführung des sommerlichen ROF in
Pesaro widerlegt den römischen Kritiker zur Gänze. Schon die
Ouvertüre ist von besonderer Schönheit und reich orchestriert. Den
drei Hauptpartien hat Rossini herrliche Arien, traumschöne,
romantische Duette, ein Männerterzett, das seinesgleichen sucht, und
mitreißende Finali komponiert. Selbst die Secco-Rezitative mit
Cembalobegleitung wirken lebendig. Auch Cesare Sterbinis Libretto ist
originell, und die einzelnen Personen sind treffend charakterisiert.
Erfreulich an
dieser DVD ist auch, dass nach so manchen unsäglichen
„Modernisierungen“ in Pesaro die fast werkgetreue Inszenierung
von Mario Martone, dessen Personenführung überlegt und dynamisch
ist, gefällt und Freude macht. Sergio Tramonti zaubert einen
düsteren Wald als Hintergrund, davor ein großes Gitter, das den
Schlosshof schützt, auf die Bühne, die noch durch einen Laufsteg
rund um den Orchestergraben vergrößert wird. Manche Szenen spielen
sogar im Auditorium oder direkt vor den Logen. Cesare Accettas
stimmungsvolle Lichtregie und Ursula Patzaks hübsch anzusehende
Kostüme erfreuen das Auge.
Michele Pertusi
ist mit seinem aufregend dunkel leuchtendem Bass ein überragender
Duca d‘Ordow, der mit verführerischem Timbre die von ihm begehrte
Dorliska gewinnen will. Unangestrengt und klar sind seine
Koloraturen, mit ungezähmter Wut in der Stimme behauptet er seine
Forderung nach Hingabe. Im musikalisch einzigartigem Männerterzett
ist sein temporeiches Parlando unübertrefflich. Den von
Leidenschaft getriebenen Duca spielt er mit Bravour.
Francesco
Meli als Torvaldo besitzt einen strahlenden Tenor, der mit kraftvoll
heldischen, aber auch lyrischen Tönen zu überzeugen weiß. Schon
von der ersten Arie an „Tutto è silenzio“ ist man vom Wohllaut
der Stimme gefangen. Darina Takova in der Partie der unglücklichen
Dorliska enttäuscht zu Anfang mit herbem Sopran,
unausgeglichenen Spitzentönen und verwaschenem Timbre. Erst wenn der
Herzog im 2. Akt zudringlich wird, gewinnt ihre Stimme bei „morir
pel caro sposo“ an Klarheit. Jetzt leuchten die Kantilenen und die
Koloraturen perlen. Den Schlossverwalter Giorgio gibt der
unverwüstliche Bruno Praticò mit zwar nachlassender Stimmkraft aber
herrlich komischem Spiel. Jeannette Fischer singt die hilfreiche
Carlotta mit vollem Mezzo. Ihre Arie „Una voce lusinghiera“ wird
bei ihr zu mehr als nur einer Sorbettoarie. Auch bei Simone
Alberghinis köstlicher Birnenarie, die er mit klangvollem Bass
bringt, würde niemand seine Loge für ein Eis verlassen.
Victor Pablo
Pérez dirigiert das exzellent spielende Orchestra Haydn di Bolzano e
Trento mit rossinierfahrener Hand: Die unterschiedlichen Aspekte der
halbernsten Oper differenziert er genau. Hier die dramatische
Situation des gedemütigten Paares und die sadistische Perfidie des
Herzogs, da der albern plappernde Giorgio, der zuletzt noch zum
Retter wird. Zuverlässig singt der Prager Kammerchor unter der
Leitung von Altmeister Lubomír Mátl.
Für
Rossini-Liebhaber eine wertvolle Rarität!
Torvaldo e
Dorliska, Dynamic 33528, 2 DVD (157'), Aufnahme vom August 2006,
Teatro Rossini in Pesaro (Rossini Opera Festival). Mit Darina Takova,
Michele Pertusi, Francesco Meli, Bruno Praticò, Jeannette Fischer,
Simone Alberghini; Orchestra Haydn di Bolzano e Trento, Coro da
Camera di Praga; Leitung Victor Pablo Pérez, Inszenierung Mario
Martone. Untertitel angeblich in d|e|f|i|sp, aber auf dem
besprochenen Exemplar nicht verfügbar. Booklet mit Inhaltsangabe und
Begleittext von Alberto Cantù in d|i|f.
Julia Poser