2. Dezember 2009

Claqueure und andere Opernbesessene


Als ich neulich bei Dussmann in Berlin stöberte, machte ich eine Entdeckung: „Opernfieber“ gibt es auf DVD! Diese Dokumentation von Katharina Rupp aus dem Jahr 2004 ist schon mehrmals im Fernsehen gezeigt und kürzlich bei 3sat wiederholt worden. Und wer das nicht gesehen bzw. davon keine Aufzeichnung hat, dem sei diese DVD wärmstens empfohlen.

Eine Staunen machende Dokumentation, erhält man doch aus erster Hand Einblicke in das Geschäft der Claqueure. Immer wieder wird unter Opernfreunden gemunkelt und gerätselt, ob es so etwas heute überhaupt noch gibt, organisierter Beifall gegen Bezahlung – oder gar auch bezahlte Pfiffe - wie zu Zeiten von Maria Callas*. Jawohl, das gibt es noch! Jedenfalls in Italien, wenn auch im Aussterben begriffen, denn – wie die Regisseurin zu berichten weiß – hätten Claqueure es schwer, bei jungen Sängern z. B. aus Texas Geld zu machen, die hätten ohnehin nur eine Kreditkarte dabei und würden an ihren Agenten verweisen.

Aber noch gibt es ihn, den gegen Bezahlung organisierten Applaus, der je nach dem gebuchten Tarif von unterschiedlicher Intensität sein kann, und insbesondere zwei Herren aus der Branche erzählen und zeigen uns in dieser Dokumentation ausführlich, wie das so läuft: der durch die Arena von Verona wirbelnde und Anweisungen gebende Capo di Claque Giancarlo, ein durchaus liebenswertes Unikum, und der seine eminente Bedeutung und Notwendigkeit für einen erfolgreichen Opernabend betonende Möchtegern-Dirigent Alfredo in Neapel. Opernbesessen sind sie alle, und wenn jemand so schlecht singt, dass Beifall auch für Claqueure eine Zumutung und gegen ihre Berufsehre wäre, gibt es das Geld zurück. Zum Thema äußern sich aber auch einige von denen, die zahlen sollen und es auch tun, - oder aber auch nicht - : z. B. Giuseppe di Stefano und Gustav Kuhn.

Selbstlose Opernbesessene sind dagegen die Herren vom „Club der 27“ in Parma, ein Verein gestandener Männer mit 27 Mitgliedern auf Lebenszeit, die jeweils den Namen einer Verdi-Oper tragen und gerade intensiv damit beschäftigt sind zu entscheiden, ob Mariella Devia würdig ist, den Preis des Clubs für die bedeutendsten Verdi-Interpreten zu bekommen.

Es gibt noch weitere Begegnungen mit Opernfans aller italienischen Couleurs zu bestaunen, - siebzig informative und vergnügliche Minuten – natürlich auch mit Opernszenen – sind garantiert.

*Maria Callas zum Thema Claque: „Man hat mich seelisch gelyncht“ im Spiegel-Interview (Heft 4/1958), - der gescannte Originalartikel mit Fotos auch als PDF-Dokument

Weitere Informationen zu der Dokumentation "Opernfieber" bei artfilm.ch.

Zur Geschichte der Claque: siehe Wikipedia - Claqueur und Wikipedia - Claque

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Ergänzungen:

Ausführliche Berichte über die Claque an der Wiener Staatsoper in den 1920er Jahren:
Joseph Wechsberg - Ein Musikant spinnt sein Garn
in drei Kapiteln (S. 79 - 110):
"Mein Leben in der Claque"
"Ovation für den Claquenchef"
"Wettbewerb der Eleganz"

Eine ausführliche Rezension der DVD (versalia - 8. Januar 2012)
 

Große Oper, große Gefühle
... Er kommt zu jeder Vorstellung, die ganze Opernsaison von Juni bis September, und braucht für keine eine Eintrittskarte. Er hat seinen festen Standort: von der Bühne aus gesehen rechts, etwas erhöht im Rang – bei Weitem nicht der beste Platz, aber einer, von dem aus er das Geschehen gut beobachten kann. Ob sie nun wie heute Abend "Aida" spielen oder wie in den nächsten Tagen "Nabucco", "La Traviata", "Il Trovatore" und "Rigoletto": Er braucht kein Libretto, er kennt alle Opern auswendig, singt sie im Kopf mit. Schwarze Hose, weißes Hemd, grau meliertes Haar mit Seitenscheitel, blitzende Augen, eine tiefe Bariton-Stimme, vor allem aber zwei flinke Hände, diese trotz der großen Beanspruchung ohne Schwielen: Giancarlo Soave ist der Claqueur der Arena di Verona. Er organisiert den Applaus der 14.999 anderen Zuschauer – ehrenamtlich, ohne Bezahlung... mehr im Hamburger Abendblatt 22./23. Juni 2013 und unter dem Titel Der Claqueur von Verona im Tagesspiegel 2. Juni 2013.