4. September 2008

Belcanto-Oper in Hamburg - Ein Trauerspiel


Der Festspielsommer ist vorbei – Zeit für eine Vorschau auf die kommende Saison an der Hamburgischen Staatsoper, vorrangig aus der Sicht einer Rossini- und Belcantobegeisterten.Belcanto-Opern in Hamburg? Leider weiterhin Fehlanzeige! Es sind jetzt sogar noch weniger als letzte Spielzeit, die mit sechs Strauss-Opern (davon drei als Premieren bei insgesamt fünf Opernpremieren!) völlig unausgewogen war. Nachdem nun Rossinis „Il turco in Italia“ in der wunderbaren Inszenierung von Christoph Loy nicht mehr auf dem Spielplan steht, gibt es in Hamburg nur noch:

- „Il barbiere di Siviglia“ von Rossini in einer zeitlosen Inszenierung von Gilbert Deflo aus dem Jahr 1976, - auch nach 36 im Laufe der letzten Jahrzehnte besuchten Vorstellungen immer noch gern gesehen, aber nur bei einer interessanten neuen Besetzung noch attraktiv genug;

- „L’elisir d’amore“ von Donizetti, ebenfalls in einer Uralt-Inszenierung aus dem Jahr 1977; „Inszenierung und Bühnenbild nach Jean-Pierre Ponnelle“ bedeutet in der Realität , dass dem Publikum seit Jahren nur noch ein Einheitsbühnenbild ohne Szenenwechsel geboten wird, ein Ärgernis für all diejenigen, die noch die Inszenierung in ihrer ursprünglichen Gestalt mit Heuwagen etc. kennen;

- Als Inszenierung aus neuerer Zeit steht nur „La Fille du Régiment“ von Donizetti aus dem Jahr 2006 auf dem Spielplan, eine liebenswerte und witzige Inszenierung von Alexander von Pfeil.

Eine Oper von Bellini oder eine opera seria von Donizetti gibt es – abgesehen von der misslungenen und schnell wieder verschwundenen „Lucia di Lammermoor“ von 1998 - in Hamburg ohnehin nur noch dann, wenn Edita Gruberova das gerade im Repertoire hat, aber in Hamburg natürlich nur konzertant. Und opere serie von Rossini? Zuletzt in den 80er Jahren konzertante Aufführungen von „Semiramide“ und „Guglielmo Tell“.

Und was ist nun in der kommenden Spielzeit musikalisch zu erwarten?
Die Intendantin und Generalmusikdirektorin Frau Simone Young hat – wenn ich mich recht erinnere – zu Beginn ihrer Intendanz mit der Spielzeit 2005/2006 angekündigt, Opern komplett – also ohne die üblichen Striche – zu bieten. Dies scheint aber nur für die von ihr selbst dirigierten Werke zu gelten, - eine „Traviata“ ohne Striche war ein Genuss, eine ungekürzte „Frau ohne Schatten“ erschien endlos. Beim „Barbiere di Siviglia“ aber gab es auch in den vergangenen Spielzeiten wieder die besonders ärgerlichen Amputationen insbesondere beim Duett Almaviva-Figaro, in der Musikstunde und im Terzett Almaviva-Rosina-Figaro.

Dass es auch anders geht, zeigt ein Rückblick auf die 80er Jahre: Wenn Alberto Zedda dirigierte, kam man voll in den Genuss der von ihm editierten Fassung, lediglich die große Arie des Almaviva gab es nicht zu hören, da fehlten damals bekanntlich aber auch die hierzu fähigen Tenöre. Dass das heute glücklicherweise anders ist, scheint von den derzeit in Hamburg Verantwortlichen aber nicht zur Kenntnis genommen zu werden; denn selbst als in der vorletzten Spielzeit ein Almaviva-Sänger wie Antonino Siragusa zur Verfügung stand, war von der großen Arie „Cessa di più resistere“ nichts zu hören, - da machten sich Enttäuschung und Unmut breit unter den Besuchern, die wissen, was andernorts geboten wird und auch in Hamburg eigentlich selbstverständlich sein sollte und natürlich auch machbar wäre, - so hat Rockwell Blake 1998 diese Arie – wenn auch ohne Chor-Beteiligung – hier gesungen, und das war sensationell.

Die Auswahl der Dirigenten für die drei Belcanto-Opern erscheint recht ungewöhnlich. Namhafte Dirigenten oder gar belcantoerfahrene Spezialisten waren bereits in den beiden vergangenen Spielzeiten nicht mehr zu erleben, die Zeiten, in denen Alessandro De Marchi den Philharmonikern Rossini-Drive erfolgreich abforderte, sind wohl leider vorbei. Rossini und Donizetti scheinen vielmehr Experimentierfeld und Bewährungsprobe für dirigentischen Nachwuchs zu werden. Kommende Spielzeit sollen beim „Barbiere di Siviglia“ Alexander Winterson – Studienleiter an der Hamburgischen Staatsoper - , beim „Elisir d’amore“ und der „Fille du Régiment“ Florian Csizmadia – Chordirektor der Hamburgischen Staatsoper – am Pult stehen. Das können natürlich – und hoffentlich! - angenehme Überraschungen werden, ich möchte mir da kein Vorurteil erlauben, es zeigt aber, welchen Stellenwert dieses Repertoire in Hamburg hat, das zudem bei Überlastung der Philharmoniker auch gerne den Hamburger Symphonikern überlassen wird, - was beim „Turco in Italia“ vergangene Spielzeit übrigens m. E. keineswegs von Nachteil war.

Was die Besetzungen anbelangt, so können wir uns immerhin auf einige Vorstellungen des „Barbiere di Siviglia“ mit Lawrence Brownlee (hoffentlich mit der großen Arie!) und Silvia Tro Santafé – teils zusammen mit George Petean – freuen. Ansonsten wird aus dem Ensemble besetzt bzw. man kann auf Neuentdeckungen hoffen.

In Sachen Belcanto-Oper müssen wir Hamburger uns also anderswo umhören und z. B. des öfteren nach Bremen fahren. Dort stehen kommende Spielzeit mit Rossinis „Maometto II“, Rossinis „La Cenerentola“ (WA) und Bellinis „Norma“ gleich drei Opern aus der Belcanto-Ära auf dem Spielplan, alle szenisch, dazu gibt es mit Wagners „Rienzi“ und Cavallis „La Didone“ noch zwei weitere Raritäten. Und es besteht die begründete Aussicht, dass es in den kommenden Spielzeiten so interessant weitergeht. Wie uns der Bremer Intendant Herr Frey anläßlich der Mitgliederversammlung der Deutschen Rossini Gesellschaft, die dieses Jahr wegen der „Cenerentola“ in der Inszenierung von Michael Hampe in Bremen stattfand, mitteilte, wird es in Bremen in fünf aufeinander folgenden Spielzeiten jeweils die Premiere einer Rossini-Oper geben. Auch Bremerhaven bietet Interessantes: „Maria Stuarda“ von Donizetti.

Auch in Hamburg gibt es natürlich im übrigen Repertoire einige empfehlenswerte Höhepunkte:Mit einer Barockoper kann man sich allerdings nicht über die Belcanto-Misere hinweg trösten. Dieses Repertoire ist nun völlig vom Spielplan verschwunden. Die letzte Produktion machte im Juli das Internationale Opernstudio in der kleinen Opera Stabile: „La Calisto“ von Cavalli, für mich ein Saisonhöhepunkt mit einer sehr unterhaltsamen Inszenierung und mit der wunderbaren Christiane Karg, die leider nicht als Ensemblemitglied in Hamburg bleibt, sondern nach Frankfurt geht.

Die Spielzeit beginnt mit Verdi-Wochen mit sieben Opern aus dem Repertoire (vom 6. September bis 12. Oktober). Der „Rigoletto“ wird das Hamburg-Debüt von Joseph Calleja bringen, Franz Grundheber soll wieder den Macbeth singen, Michele Pertusi *den Falstaff und in „Simon Boccanegra“ Mardi Byers die Amelia, - eine Sängerin, auf deren Hamburg-Debüt alle diejenigen gespannt sind, die sie in ihrer Lübecker Zeit dort als ausgezeichnete Adriana Lecouvreur und u.a. in „I masnadieri“ erlebt haben.

*Aktueller Hinweis (8.9.): Wegen Erkrankung von Michele Pertusi singt Roberto de Candia den Falstaff.

Besonders freue ich mich wieder auf Verdis „Don Carlos“ in der fünfaktigen französischen Fassung, für mich persönlich die wichtigste Inszenierung in meinem ganzen bisherigen Opernleben, bei der ich auch nach über einem Dutzend seit der Premiere 2001 besuchter Vorstellungen immer noch neue Details entdecke. Abgesehen von der Rolle der Elisabeth, in der es ein Wiedersehen und Wiederhören mit dem langjährigen und von vielen vermissten Ensemblemitglied Danielle Halbwachs geben wird, ist die gleiche Besetzung wie in der vergangenen Spielzeit vorgesehen. Von Berichten vom Hörensagen über die beiden nach wie vor umstrittenenen Szenen dieser Konwitschny-Inszenierung sollte sich niemand abschrecken lassen: zum Autodafé, das ich persönlich besonders packend finde, weil es quasi unter unbewusster „Mitwirkung“ des Publikums stattfindet, kann man sich in freier Platzwahl ein ruhiges Plätzchen in einer der oberen Ranglogen suchen, wenn man einfach nur in Ruhe zuhören möchte, und die Pantomime „Ebolis Traum“ zur Ballettmusik ist m. E. allemal witziger und unterhaltsamer als ein Maskenball mit Balletteinlage in weißen Tütüs.

An Opernpremieren erwartet uns eine interessante Mischung: „Die Walküre“, „Die lustige Witwe“ (in einer Inszenierung von Harry Kupfer), Brittens „Death in Venice“ (mit Michael Schade), Glucks „Iphigénie en Tauride“ (unter Alessandro De Marchi) und Verdis „Attila“ (konzertant). Ein besonderes Erlebnis wird sicherlich wieder Elisabeth Connell als Turandot sein, in der vergangenen Spielzeit war ihre Darbietung einfach unglaublich faszinierend und sängerisch hervorragend.