3. Dezember 2008

Kleine Geschichten rund ums Opernpublikum



In diesem Beitrag geht es – ich muss es vorweg sagen - nicht um Belcanto-Oper, nicht einmal vorrangig um das Geschehen auf der Bühne, sondern sozusagen um die andere Seite.

Was wäre die Oper ohne ihr Publikum und dessen Reaktionen? Ich meine jetzt nicht die Bravo-, Brava-(etc.)Rufe und auch nicht die Buhstürme, sondern die kleinen Begebenheiten am Rande, die die Erinnerung an bestimmte Vorstellungen würzen und von denen ich einige erzählen möchte.

Vor vielen Jahren in einer Aufführung von Verdis „Otello“: Neben mir sitzt ein etwa 12 Jahre altes Mädchen und verfolgt gebannt das Geschehen auf der Bühne. Vierter Akt – Desdemona legt sich nach dem Ave Maria ins Bett – , da flüstert mir das Mädchen zu: „ Die hat sich gar nicht abgeschminkt“.

Eine Aufführung von Verdis „Un ballo in maschera“: In die Schluss-Szene des Tenors mit den zahlreichen Addios tönt es -im 4. Rang deutlich vernehmbar - von einer der Beleuchterbrücken: „Nun stirb doch endlich! Ich will nach Hause!“.

Ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums bei „Le Grand Macabre“ von Ligeti: Als jemand auf der Bühne fragt, wie spät es sei, kommt die Antwort aus allen Ecken des Hauses. – Es wurde die Erstfassung der Oper gespielt: Die „Ouvertüre“ war ein Stück für Autohupen; als nach der Pause im Vorspiel zum nächsten Akt Fahrradklingeln ertönten, kamen aus dem Publikum Zwischenrufe wie: „Wir wollen wieder die Autohupen“, – vielleicht war es aber auch umgekehrt, ich meine das mit den Klingeln und den Hupen.

Voraufführung der „Zauberflöte“ 1982 in der Inszenierung von Achim Freyer: Die drei Knaben, die in Handwerkerkluft gewandet als eine Art Reparaturtrupp eingreifen, wenn es brenzlig wird, bringen Pamina gute Nachricht und haben zum fröhlichen Tänzeln Flachmänner in den Händen. Heftige lautstarke Zwischenrufe aus dem Publikum: „Kinder und Alkohol! Unverantwortlich!“. Ab der Premiere waren es dann Kakaotüten (die sind inzwischen aber auch verschwunden).

“Cendrillon“ von Massenet am Theater Lübeck: Nach der bejubelten Koloraturarie der Fee verkündet das kleine Mädchen neben mir voller Stolz: „Das ist meine Mama!“

“Der Freischütz“ in der Hamburgischen Staatsoper in der Inszenierung von Peter Konwitschny: Bei der Szene in der Wolfsschlucht ein Zwischenruf vom 4. Rang: „Jetzt brauch ich nicht mehr auf den Dom zu gehen“ (Erläuterung für Nichtnorddeutsche: Der Hamburger Dom ist der dreimal jährlich stattfindende große Jahrmarkt auf dem Heiligengeistfeld). Ein weiterer Zwischenruf dieses Herrn im 4. Rang hat übrigens eine kleine szenische Änderung bewirkt: Der Eremit tritt in dieser Inszenierung nicht erst im letzten Bild auf, sondern schaut sich – gekleidet wie ein normaler Opernbesucher - die ganze Vorstellung von der 1. Reihe aus an und mischt sich dann auch ein, indem er die bewussten weißen Rosen – laut Bravo rufend – auf die Bühne schleudert. Ursprünglich und damit auch in dieser Vorstellung geschah dies nach der ersten Arie des Ännchen. Nach der wundervoll gesungenen Arie der Agathe tönte es vom 4. Rang: „Jetzt hättest du deine Blumen werfen sollen“, - seitdem kommt der Rosenwurf bereits nach dem Duett der beiden Damen, was beweist: Peter Konwitschny hört auf sein Publikum!

Premiere der „Frau ohne Schatten“ in der Hamburgischen Staatsoper: In die leise verklingenden letzten Takte eines langen Abends tönt von oben ein lautstarkes „Gott sei Dank!“. Berichtet wird über einen Besucher im Parkett, der heftig buhte und dafür von seinem Hintermann einen Schlag auf den Kopf bekam - mit dem dicken Programmheft!

Ein Mitglied der Deutschen Rossini Gesellschaft berichtete aus Pesaro: In der Pause der Aufführung von „La Cenerentola“ mit Kasarova in der Titelpartie fragt eine Besucherin: „Warum singt die Sängerin so tief?“ – „Weil Rossini das so komponiert hat“ – „Und warum hat er das so gemacht?“ – „Das müssen Sie schon den Komponisten fragen“ – „Ach, ist der auch hier?“.

Und die Oper gewinnt neues Publikum, - daran sind Tourneeproduktionen in Arenen und der bewusste Telekom-Werbespot im Fernsehen vielleicht doch auch etwas beteiligt. Dass die Jugend ihre Begeisterung auch in der Oper durch Pfiffe zum Ausdruck bringt, ist ja nicht mehr neu. Etwas ungewöhnlich – jedenfalls im Opernhaus - dürfte aber das Verhalten des jungen Mannes sein, der in einer Aufführung von „Carmen“ neben mir saß: Als das Vorspiel einsetzte, riss es ihn vom Sitz, und er klatschte im Rhythmus laut mit, - allerdings nicht lange, und von da an war er ein aufmerksamer stiller Zuhörer. Und neulich bei der „Turandot“ im Pausengespräch einer Gruppe Jugendlicher: „Das Lied aus der Werbung kommt jetzt gleich“*.

Und dass Oper zum aktiven Wortschatz auch schon von Schulkindern gehört, zeigt diese kleine Begebenheit in der U-Bahn: Mittagszeit, die Schule ist aus, und die Schulkinder vertreiben sich die Zeit mit Aufsagen von Reimen zu rhythmischem Händeabklatschen. Auf einmal höre ich: "Dann kommt ein Opernsänger, da dauert's immer länger"!

Eine besondere Publikums-Spezies wird im Beitrag Frühklatscher gewürdigt.

*




3.12.2008