27. August 2010

Tancredi bei den Meistersingern - Wagner zitiert Rossini


Sie glauben das nicht? Doch, das ist tatsächlich so! Und Rossini-Klänge nicht nur in Bayreuth, sondern in allen Opernhäusern der Welt, wenn in Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ die Handwerker auf der Festwiese ihren Einzug halten (Dritter Aufzug – 5. Szene). Als Michael Schønwandt die Meistersinger in Hamburg dirigierte, habe ich es endlich genau gehört, - sonst geht es in den Klangmassen meistens unter.

Zugegeben, es sind nur wenige Takte, und man muss in dem lebhaften orchestralen Getümmel sehr genau aufpassen, aber dann hört man es tatsächlich: es sind die Flöten (und nur die Flöten, gesungen wird die Melodie ohnehin nicht), die die Melodie von „Di tanti palpiti“ aus Rossinis "Tancredi" zu den Worten der Schneider spielen: „...war nicht ein Schneider, ein Schneider, ein Schneider zur Hand, der viel Muth hatt' und Verstand“. Es geht dabei inhaltlich um die Geschichte von einem Nürnberger Schneider, der einst – eingenäht in ein Bocksfell - Feinde, die Nürnberg belagerten, mit Luftsprüngen u. ä. vertrieben haben soll.


Quelle: Bollettino del Centro rossiniano di studi 1976 Nr. 1-3

Dass Wagner gerade eine derart komisch-heroische Geschichte mit dieser populären Rossini-Melodie illustrierte, erklärt Richard Osborne* wie folgt:

„Es mag Wagners Sinn für die Beleidigung eines mittelalterlichen Ritters gewesen sein, wenn diesem die Musik eines Straßenverkäufers beigegeben wird, daß er mit einer Parodie auf 'Di tanti palpiti' für das Lied der Schneider im 3. Akt der Meistersinger darauf reagierte.“
*Richard Osborne, Rossini – Leben und Werk (1986 / List Verlag München 1988, S. 317 (Anm. 2 zu Kapitel 21) (s. hierzu den Nachtrag am Ende dieses Posts)
Tancredis Melodie als Musik eines Straßenverkäufers? Ich kann die damit behauptete Boshaftigkeit Wagners nicht empfinden, für mich wirkt die Parodie in dieser 1868 uraufgeführten Oper eher wie ein Augenzwinkern.

Wagner hat sich allerdings eingehend und vehement gegen Rossini bzw. gegen seine Musik gewendet, da lassen sich zahlreiche Beispiele finden in Richard Wagners Schrift „Oper und Drama“ insbes. im Abschnitt „Die Oper und das Wesen der Musik“ (Unterabschnitte II und III).*

*Komplette Texte bei Google Books:  Oper und Drama (Leipzig 1852)
                                                             Oper und Drama (2. Auflage, Leipzig 1869)
Da bei diesen digitalisierten, sehr umfangreichen Dokumenten eine gezielte Suche über die Funktion „ Auf dieser Seite suchen“ nicht möglich ist,  hier noch eine weitere Veröffentlichung des Textes im Internet (62 Suchergebnisse mit dem Suchbegriff „Rossini“!)
Rossini soll – glaubt man zumindest den zahlreichen Anekdoten – seinerseits Unfreundliches über Wagner gesagt haben. Dichtung oder Wahrheit, Ironie oder üble Nachrede – wer kann das Knäuel der vielen Geschichtchen noch entwirren, die teils von mehr oder weniger verlässlichen Augen- bzw. Ohrenzeugen stammen, meist aber einfach nur irgendwo abgeschrieben und weiterverbreitet worden sind und werden, häufig auch in der einschlägigen Fachliteratur? Fest steht allerdings, dass Rossini, als ihm im Frühjahr 1860 in Paris eine besonders bösartige Bemerkung gegen Wagner, der zu der Zeit in Paris zur Aufführung seines Tannhäusers war, in den Mund gelegt wurde, Dementis in den Pariser Zeitungen veröffentlichte.

Wagner selbst schreibt hierüber:
"In einer anderen Weise sehr freundlich anregend erwies sich für mich eine Berührung mit Rossini, welchem ein Witzreißer für die Journale ein bonmot untergeschoben hatte, wonach er seinem Freunde Caraffa, als dieser sich für meine Musik erklärte, bei einem Diner den Fisch ohne Sauce serviert und dies damit erklärt haben sollte, daß ja sein Freund auch die Musik ohne Melodie liebe. Hiergegen protestierte nun Rossini in einem öffentlichen Schreiben sehr förmlich und ernsthaft, erklärte das ihm untergelegte bonmot für eine »mauvaise blague« und bezeugte zugleich, daß er derartige Scherze sich nie in betreff eines Mannes erlauben würde, den er darin begriffen sehe, das Gebiet seiner Kunst zu erweitern. Nachdem ich hiervon Kenntnis erhalten, zögerte ich keinen Augenblick, Rossini meinen Besuch zu machen, und ward von ihm in der Weise freundlich empfangen, wie ich dies später in einem meinen Erinnerungen an Rossini gewidmeten Aufsatze beschrieben habe."
Zitiert aus: Richard Wagner - Mein Leben (Dritter Teil: 1850-1861)
Dieser denkwürdige Besuch Wagners bei Rossini fand im März 1860 statt. Edmond Michotte, so etwas wie ein persönlicher Referent Rossinis, hatte dieses Treffen arrangiert und war bei dem Gespräch anwesend, dessen Inhalt er anhand von Aufzeichnungen allerdings erst Jahrzehnte später veröffentlichte*. Hier kann man nachlesen, wie Wagner seine Vorstellungen von der Zukunft des Musikdramas verständlich und ohne große theoretische Abschweifungen schildert, auf die ein merklich interessierter Rossini detailliert eingeht, teils auch mit souveräner (und von Wagner vielleicht gar nicht wahrgenommener) freundlicher Ironie, wenn er z. B. auf Wagners begeisterte Äußerungen über die Melodie der Szene „Sois immobile“ (Guillaume Tell) oder über den Chor der Schatten im „Moise“ antwortet, er – Rossini – habe also, ohne es zu wissen, „Zukunftsmusik“ gemacht. Eine wirklich empfehlenswerte Lektüre!

* ausführliche Zitate hieraus bei Herbert Weinstock, Rossini – Eine Biographie (1968 / Edition Kunzelmann 1981), insbes. Kapitel XVI S. 318ff, und bei Wilhelm Keitel/Dominik Neuner, Gioachino Rossini (Albrecht Knaus Verlag 1992), S. 206ff. Den kompletten Text in einer neuen deutschen Übersetzung enthält das Booklet zur CD „Konrad Beikircher liest 'Wagner vs. Rossini'“.
Nach dem Tode Rossinis (13. November 1868) erschien in der Allgemeinen Zeitung Augsburg am 17. Dezember 1868 von Richard Wagner “Eine Erinnerung an Rossini”*. Sicherlich ein etwas seltsamer Nachruf, da Wagner mehr über sich selbst spricht als über Rossini, aber doch eben eine Würdigung, die mit folgenden Worten schließt:


(Zum Vergrößern bitte das Bild anklicken)
*Den (fast) kompletten Text gibt es im Internet bei Google-Books hier 

Wie Albert Gier in seinem Vortrag Glanz und Elend der absoluten Melodie beim Symposion „Rossini und die Deutschen“ (Bad Wildbad 1999) anmerkt, vermochte Wagner jedenfalls im Falle Rossinis zwischen Person und Werk zu trennen.

Soweit der Hinweis auf ein interessantes Kapitel der Musikgeschichte. Abschließend noch eine kleine Randnotiz:

Festwiese - Hamburgische Staatsoper
(zum Vergrößern bitte anklicken)

Auch einen veritablen Triller gibt es in den Meistersingern zu bestaunen – entsprechendes Können der Sängerin natürlich vorausgesetzt -, und zwar ebenfalls in der Szene auf der Festwiese. Eva singt ihn in der Phrase „Keiner wie du...“, wenn sie ihrem Stolzing nach dessen Preislied den Siegeskranz aufsetzt. Darüber, wie dieser Triller in Wagners Partitur geraten ist, gibt es folgende nette Geschichte, die Lotte Lehmann erzählt haben soll, die Schülerin der Uraufführungs-Eva Mathilde Pallinger war*:

Bei den Proben zur Uraufführung der Meistersinger soll der Tenor in dieser Szene mehrfach gepatzt haben. Als es bei der x-ten Wiederholung immer noch nicht klappte, soll die Sängerin der Eva - total genervt – in ihren Part einfach einen langen Triller eingebaut haben, - sozusagen der Seufzer einer Sängerin.... Hierauf Wagner: „Der Triller bleibt!"
*s. Alan Jefferson, Lotte Lehmann – Eine Biographie, Schweizer Verlagshaus Zürich 1991, S. 23

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Nachtrag zu Osborne: Dieser Passus soll in der 2. Auflage nicht mehr enthalten sein. Der von mir zitierte Erklärungsversuch Osbornes, der letztlich einen musikalischen „Racheakt“ Wagners an Rossini unterstellte, wurde m. E. Wagners Bild von Rossini jedenfalls zum Zeitpunkt der Meistersinger nicht gerecht. Jemandem, den man bewusst kränken will, widmet man nicht wenige Monate später aus freien Stücken einen freundlichen Nachruf.
August 2010
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Nachtrag: Es hat sich rumgesprochen....
... im November 2013 machte MDR Figaro das Rossini-Zitat in den Meistersingern zum Gegenstand einer Rätselfrage (und kann sich offenbar nicht entscheiden, wie der Vorname Rossinis zu schreiben ist):

17. August 2010

TV-Kritik: Rossini reloaded - weitgehend ein Ärgernis



Haben Sie auch am Sonnabend bei 3sat den Film „Gioacchino Rossini – Der Schwan von Pesaro“ mit dem seltsamen Untertitel „Rossini reloaded“ gesehen? Die Vorfreude war groß gewesen, hieß es doch in der Vorankündigung: „In dem Porträt erkundet Filmautor Theo Roos gemeinsam mit Juan Diego Flórez die legendäre Epoche des Belcanto und das komplexe Wesen eines Komponisten, der als musikalischer Spaßmacher galt und dem die Großen seiner Zeit Respekt zollten“. Die Enttäuschung war dann umso größer.

"Rossini reloaded" - was soll das? Rossini neu entdecken? So aber bitte nicht! Der Versuch, Rossinis Musik unter Abspielen von Teilen bekannter schmissiger Ouvertüren in schnellbewegte Bilder unserer Zeit umzusetzen, war einfach nur nervig, - Hektik pur, der ich mich bald entzog und die Augen schloss, solange nicht einer der von Rossinis Musik ansteckend begeisterten und sachkundigen Interpreten zu Worte kam oder der Schnipsel einer Opernszene gezeigt wurde.



Alberto Zedda, Joyce DiDonato, Juan Diego Flórez, Daniela Barcellona u. a. vermittelten lebhaft ihre Freude an der Musik Rossinis, ihnen zuzuhören war ein Vergnügen, unerfreulich war z. B. „Di tanti palpiti“ als Hintergrundmusik zu einem gesprochenen Zitat (Stendhal, Heine, Schopenhauer, Richard Wagner u. a. wurden von Schauspielern reichlich unglaubhaft "verkörpert").

Schade um die vertane Chance, Rossini auch über seinen "Barbiere di Sevilla" und "La Cenerentola" hinaus wieder ins Bewusstsein des operninteressierten Publikums zu rücken! Bei einer derart sprunghaften und teils hektischen Machart bleibt nicht viel in Erinnerung.


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Im Anschluss an diesen Film gab es in einer Aufzeichnung aus Barcelona „La Cenerentola“ mit dem Rossini-Traumpaar DiDonato und Flórez. Am kommenden Sonnabend wird „La pietra del paragone“ in einer eigenwilligen, aber m. E. äußerst unterhaltsamen (und durchweg gut gesungenen) Inszenierung aus Paris gezeigt.

3sat sei Dank für diese außergewöhnliche Rossini-Fülle! Dass diese beiden Opern aber unter „Festspielsommer“ gezeigt werden, ist allerdings doch etwas irritierend, geht es bei dieser Sendereihe nach der Ankündigung von 3sat doch um: "Renommierte Festivals – internationale Stars. Zu sehen sind Aufführungen aus ... aus Schwetzingen und vielen anderen Festspielorten mehr. Konzerte, Opern und Tanz, live oder in aktuellen Aufzeichnungen.“ Da hatte ich doch tatsächlich – jedenfalls solange die Besetzungen noch nicht auf der Internetseite von 3sat standen - auf (ggf. auch ältere) Aufzeichnungen der RAI vom Rossini Opera Festival in Pesaro gehofft. Festivals in Paris oder Barcelona sind mir jedenfalls nicht bekannt, vielmehr handelt es sich um Aufzeichnungen „normaler“ Produktionen, die auch bereits auf DVD im Handel sind. Warum also diese völlig überflüssige Falschdeklaration? Programmfüller aus Mangel an (finanzierbaren) Übertragungen von anderen diesjährigen Festivals? Wie auch immer – genießen wir das seltene TV-Vergnügen mit Opern unseres geliebten Rossini! Am kommenden Sonnabend also "La pietra del paragone" in einer Inszenierung, die auf dem Bildschirm vielleicht sogar besser zur Geltung kommt als im Theater, - ein neuer Zug der Zeit?


Fotos: Bildschirmfotos 3sat / YouTube

8. August 2010

Solisten von "Rossini in Wildbad" 2010 in Bild und Ton

Auch dieses Jahr gab es beim Festival „Rossini in Wildbad“ eine interessante Mischung von bekannten und neuen Stimmen zu hören.




An erster Stelle ist Michael Spyres zu nennen, ein Tenor mit fulminanter Höhe und baritonaler Tiefe und mit einem vorbildlichen Legato, der eine viel versprechende internationale Karriere gestartet hat (aktuelle Informationen auf seiner Homepage und hier). Dieses Jahr sang er in Bad Wildbad den Néoclès in den konzertanten Aufführungen von Rossinis „Le Siège de Corinthe“:




Es lohnt sich immer wieder, auch die Videos (in guter Tonqualität!) von seinen früheren (szenischen) Auftritten in Bad Wildbad zu bestaunen:
Rossini "La gazzetta" 2007
Rossini "Otello" 2008


Auch mit Lorenzo Regazzo gab es in „Le Siège de Corinthe“ (und bei den Duetti buffi mit Bruno Praticò) ein sehr erfreuliches Wiedersehen und Wiederhören in Bad Wildbad, leider aber (noch) kein Video davon. Aber ansehen sollte man sich dieses Video hier, - da ist er mal nicht auf Anhieb zu erkennen.

Videos von weiteren Solisten dieser Produktion, die auf CD erscheinen soll:
Majella Cullagh (Pamyra)
Marc Sala (Cléomène) (auch zu erleben im Wildbad-Video hier im Blog)
Silvia Beltrami (Ismène)

Auch von der diesjährigen „Cenerentola“ gibt es bei YouTube ein Video:


Wie man sieht und hört, war auch dieses Jahr Bruno Praticò wieder in Bad Wildbad dabei, diesmal als Don Magnifico. Von dessen Arie gibt es ein wunderbares Video von einem Konzert in St. Petersburg, interessanterweise dirigiert von dem international als Tenor bekannten Giuseppe Sabbatini:




Mir hat besonders der erst 22 Jahre alte Bernhard Hansky als Dandini gefallen: klangvolle Stimme, koloratursicher und von erstaunlicher Bühnenpräsenz. Auf seiner Homepage gibt es ein Audio von seiner Auftrittsarie, aufgenommen in Bad Wildbad:
Arie des Dandini




Die Cenerentola sang die bereits für Wien und Zürich engagierte Serena Malfi (Videos) - Auch von dem Sänger des Ramiro, Edgar Ernesto Ramirez, gibt es Videos bei YouTube.


Szenen-Fotos von "Rossini in Wildbad" 2010:


Insbesondere wegen der zahlreichen Fotos und für diejenigen, die des Niederländischen bzw. des Französischen mächtig sind (oder die die oft bizarren Google-Übersetzungen enträtseln mögen) hier als Ergänzung zur Presseschau die Rezensionen von „Opera gazet“ und „Forum Opéra“

Opera Gazet: alle drei Opernrezensionen hier

Forum Opéra:
Le Siège de Corinthe
La Cenerentola
Adelina
Duetti buffi

Neugierig geworden, wer in früheren Jahren bei "Rossini in Wildbad" gesungen und wer von dort aus eine internationale Karriere gestartet hat? Das steht im Einzelnen hier im Belcantoblog im Beitrag Junge Karrieren - Karrierestart in Bad Wildbad und Pesaro und in der Diskographie im Beitrag "Rossini in Wildbad" 2008 - Das Jubiläum. Weitere Beiträge finden Sie über die Rubriken in der rechten Spalte  "Rossini in Wildbad" und "Junge Karrieren".