Kürzlich sendete 3sat die Dokumentation "Chinas neue Musentempel", eine Erkundungstour durch die zahlreichen neuen Opern- und Theaterbauten in chinesischen Mega-Citys: faszinierende Bilder moderner Architektur und Gespräche mit Sängern (u.a. Hui He) und Musikern, jungen Opernfans, chinesischen Funktionären und ausländischen Auftragnehmern. Wenn man sich die Besetzungslisten des NCPA in Beijing bei operabase ansieht, findet man dort nicht nur viele international bekannte Sänger - auch Placido Domingo ist als Nabucco mit dabei -, sondern auch bereits für die Hauptpartien einheimische Kräfte, von denen neben Hui He bisher allerdings wohl nur der Tenor Yijie Shi international bekannt sein dürfte.
Die Dokumentation "Chinas neue Musentempel" wird am Mittwoch, 19. Februar, 22:10 Uhr, auf ZDFkultur wiederholt.
Der nachfolgende Bericht von A. Rosenbusch, der zuvor im Mitteilungsblatt Nr. 61 der Deutschen Rossini Gesellschaft erschienen ist, gibt nun die seltene Gelegenheit, in einem anschaulichen Augen- und Ohrenzeugenbericht einen Einblick in das moderne Operngeschehen in China zu erhalten. Ich danke dem Verfasser und freue mich, diesen interessanten Bericht auch über den Mitgliederkreis der DRG hinaus zugänglich machen zu können. esg
Eine „Italienerin“
in Beijing
Anlässlich
einer Reise nach China besuchte ich am 30. Nov. 2013 in Peking das
NCPA (= National Center of Performance Art), um zu erfahren, welche
Vorstellungen an diesem Abend auf den Bühnenbrettern von Chinas
Hauptstadt angeboten wurden.
Zum Vergrößern bitte ins Bild klicken |
Das NCPA ist
ein neu errichtetes komplexes Gebäude, welches drei Theater und
einen Konzertsaal unter einem Dach vereint.
Beim
Betreten der riesigen Eingangshalle des Theaterkomplexes erblickte
ich sogleich ein Plakat, auf dem eine Dame in amouröser Pose
dargestellt war. Mit diesem im westlichen Jugendstil gehaltenen
Werbeposter wurde für
Rossinis Italienerin in Algier,
gespielt an vier aufeinanderfolgenden Abenden vom 28. Nov. bis zum
1. Dez. 2013, geworben.
Der an der
Kasse ausliegende Flyer ermöglichte mir schnell die Besetzung der
Rollen zu erfahren; Und siehe da, zumindest ein Name war mir vom
Rossini Festival aus Bad Wildbad 2013 vertraut:
Silvia
Beltrami (in
Bad Wildbad die Zomira in der Oper Ricciardo
e Zoraide ) singt in
Peking die Titelpartie der Italienerin,
also die Rolle der Isabella.
In kürzester Zeit war ich im Besitz eines Tickets (7.Reihe Parkett) für die nahezu ausverkaufte Vorstellung an diesem 30.Nov.2013.
Die
Aufführung fand im kleineren Theater statt, das Platz für 1035
Besucher bietet. In Szene gesetzt wurde die Oper von Giancarlo
del Monaco, der am NCPA bereits Tosca
(2011), den Fliegenden Holländer
und Lohengrin (2012)
sowie den Otello von
Verdi (2013) inszeniert hatte. Ihm zur Seite standen William
Orlandi für Bühnenbild und Kostüme sowie
Jacopo Pantani für
das Lichtdesign. Die musikalische Leitung lag in den Händen von
Gianluca Martinenghi
(zuletzt erster Gastdirigent beim Teneriffa Festival für Falstaff
und Tosca), der das
China NCPA Orchestra und die 18 Herren des China NCPA Chorus
dirigierte.
![]() |
Foto des Autors |
Gesungen
wurde italienisch, die Übertitel in englischer Sprache wurden über
der Bühne, die sicherlich passende chinesische Textinterpretation
wurde zu beiden Seiten der Bühne an fest installierten LED-Displays
angezeigt.
Giancarlo
del Monaco führte auf einer von drei Lampenreihen umsäumten
Showbühne im Stil der 1920-er Jahre durch die Version einer
„Opern-Revue“. Der Orchestergraben war umrahmt von einem
strahlend weißen ca. 1m breiten Laufsteg, der häufig für die
Rezitativpassagen meist von Isabella und Mustafa (vor allem in der
PAPATACI szene) bespielt wurde.
Bereits
während der Ouvertüre wurde das Meer in barocker Theatermanier auf
sich hin und her bewegenden, die stürmischen Wellen darstellenden
Holzelementen präsentiert. Ein auf einem Gestell montierter
Doppeldecker mit Isabella als Pilotin und Taddeo als Flugbegleiter an
Bord stürzte im Sturm der Musik mit lautloser Eleganz in die Wogen.
Heranziehende Piraten-Fischer retteten beide vor dem Untergang auf
Flugzeugwrackteilen ans Land.
Fotos: Wang Xiaojing / chncpa.org |
Nach dieser
Vorgeschichte wandelte sich die Bühnenprojektion in die Gartenanlage
von Mustafas Palast, und Song Yuanming klagte als Elvira mit ihrem
klaren lyrischen Sopran über die mangelnde Liebe von Mustafa (Enzo
Capuano), der zusammen mit seinem Adjudanten Haly (Wang Hexiang) in
einem überlangen mindestens 3/4 der Bühnenbreite einnehmenden
Oldtimer vor dem Palast vorfuhr.
Mit Enzo
Capuanos Mustafa präsentierte sich ein Bass mit ca. dreißigjähriger
Bühnenerfahrung, der die komödiantischen Effekte der Partie auch
optisch geschickt nutzte und durch seinen Körpereinsatz mittels
lüsternem taktbetontem Hüftkreisen in dieser Vorstellung so manchen
Lacher auf sich zog. Die stimmlichen Herausforderungen bereiteten ihm
dabei kaum Schwierigkeiten. Haly (Wang Hexiang) diente ihm mit seinem
soliden Bariton als eifriger Adlatus.
Lindoro
(Yijie Shi), der Geliebte von Isabella, hatte in den wenigen
getragenen Phasen der Partie seine schönsten Momente, während die
Koloraturpassagen an diesem Abend rau und hölzern klangen. Die eher
schmächtige Statur des Sängers wurde durch einen kindlich wirkenden
Matrosenanzug noch verstärkt, so dass er mit seinem bemüht
sportlichen Agieren einen schlaksigen Typ darbot.
Dass die
kleine, etwas untersetzte Silvia Beltrami ihre Auftrittsarie in einem
bodenlangen, düsteren Ledermantel mit lederner Pilotenmütze zu
absolvieren hatte, wirkte für eine gerettete Primadonna auf mich
befremdlich.
Umso
gelungener geriet ihre erste Zusammenkunft mit Mustafa. Der ganze
Sultans-Hofstaat blickte erwartungsvoll nach rechts in die
Bühnengasse, während eine elegant kostümierte Isabella von hinten
links auf die Bühnenmitte zuschritt, so dass sie die Überraschung
für sich verbuchen konnte. Spätestens von diesem Zeitpunkt begannen
alle Sänger auf der komödiantischen Musikwelle Rossinis zu surfen.
Silvia
Beltrami brachte mit nuanciert farbenreicher Stimme dominant zum
Ausdruck, dass Sie sich nicht unterkriegen lässt, und behielt ihren
Belcantostil bis zum Ende der Oper in überzeugender Weise bei.
Ebenfalls in bester Belcantomanier sang Lui Songhu als Taddeo mit
seinem herrlich samtigen Timbre in allen Facetten und war somit ihr
großartiger Mitstreiter, der auch darstellerisch allen anderen
chinesischen Sängerkollegen in dieser Aufführung weit überlegen
war.
Vom
Dirigenten des Abends, Maestro Gianluca Martinenghi, hätte ich mir
etwas mehr zupackenden italienischen Drive gewünscht. So klang das
hauseigene NCPA-Orchester streckenweise bloß routiniert und wenig
inspiriert und ließ das witzig zwinkernde Auge Rossinis allzu oft
vermissen.
Der
Herrenchor sang präzise und umrahmte besonders in den Palastszenen
kostümiert als „Haremswächter“ mit nackten Theaterbäuchen und
goldenen Bikinioberteilen in resonanter Weise das Spiel der Solisten.
Dass jeder der Chorsänger vom ersten ihrer Auftritte an jeder an
einem roten Schal strickte, der von Mal zu Mal immer länger wurde,
läßt mich mit der Hoffnung schließen, dass hier ein roter Teppich
gewirkt wird, der hoffentlich dazu dient, Rossinis Opern weiterhin
den Weg in den chinesischen Kulturkreis zu öffnen.
Als
Besonderheit sei noch vermerkt, dass sich die Türschließer während
der gesamten Vorstellung an den Eingängen im Zuschauerraum
aufhielten. Ausgestattet mit Laserpointern richteten diese rote
Laserstrahlen auf die Zuschauer, welche während der Vorstellung
versuchten, Fotos von der Aufführung zu machen. Die „Übeltäter“
waren sichtlich irritiert und ließen ihr Aufnahmegerät (meist
Mobilephone oder iPad) sofort wieder verschwinden. Das ist eine
effektvolle aber störende Methode, die leider auch das übrige darin
unerfahrene Auditorium ablenkte, bis es merkte, dass diese Aktion
nicht zur Inszenierung gehört.
Für alle, die an weiteren
Aufführungen am NCPA in Beijing interessiert sind, hier die
Homepage:
Von Gioachino Rossini wurde dort bisher gespielt:
Der Barbier von Sevilla
La Cenerentola
Die Italienerin in
Algier
A. Rosenbusch