„Othello“? So wird Rossinis Oper in
Weimar betitelt, - ohne „h“ könnten die Leute das ja sonst
vielleicht für einen Schreibfehler halten? Aber zu hören gab es bei
der Premiere im Nationaltheater Weimar zu Himmelfahrt am 5. Mai 2005
zum Glück Otello ossia Il moro di Venezia, also auf italienisch (mit
deutschen Untertexten). Ein „künstlerisches Himmelfahrtskommando“,
wie die lokale Presse es nennt? Aus deren Berichterstattung möchte
ich im Folgenden auch Einiges zitieren, als ein m.E. nicht
uninteressanter Beitrag zur Rezeption einer dramatischen Oper von
Rossini.
Das Wagnis, ein solches Werk in einem Theater dieser Größenordnung überhaupt auf den Spielplan zu setzen, kann jedenfalls nicht genug gelobt werden und war auch erfolgreich, da die anspruchsvollen Rollen aus dem eigenen Ensemble adäquat bis sehr gut besetzt werden konnten. An erster Stelle ist da m.E. Uwe Stickert zu nennen, der einen erstklassigen Rodrigo in bestem Rossini-Stil sang, mit sicheren Koloraturen, durchweg schöner Höhe und ausdrucksstarker und differenzierter Gestaltung allein mit musikalischen Mitteln, ein noch junger Sänger (geb. 1974), dessen weiteren Weg man beobachten sollte! Zitat aus der «Thüringer Landeszeitung» (TLZ): „…mit köstlicher Gelenkigkeit in hoher Buffo-Tessitur“, … nun ja!
Juhan Tralla als Otello kam mit den baritenoralen Anforderungen seiner Partie ebenfalls durchweg gut zurecht und bot insbesondere im Schlussakt, als er auch darstellerisch richtig gefordert war, ein überzeugendes und bewegendes Rollenporträt. Die Gefährlichkeit des Intriganten Jago konnte Erin Caves nicht ganz so überzeugend vermitteln, bot aber in diesem Wettstreit der drei Tenöre gesanglich eine durchaus ansprechende Leistung. Ulrika Strömstedt als Desdemona mit szenischem Totaleinsatz fehlte etwas die Durchschlagskraft, dem Lied von der Weide mangelte es an musikalischer Differenzierung der einzelnen Strophen. Auch hier ein Zitat: „Trotz fein linierter Höhe, einer überzeugenden Wahnsinns-Arie, worin sie stummfilm-artige Züge einer gespenstischen Norne annahm, war Ulrika Strömstedt keine Primadonna assoluta“ («Thüringer Allgemeine», TA). Silona Michel als Emilia und Hidekazu Tsumaya (ein schönstimmiger Bass) als Elmiro machten das Beste aus ihren relativ undankbaren Nebenrollen, Frieder Aurich als Doge blieb unauffällig.
Der Chor sang gut und war auch szenisch sehr engagiert. Über die Leistung der Staatskapelle Weimar unter Olaf Storbeck gibt es ebenfalls viel Positives zu berichten: gute Tempi, ein weitgehend transparentes Klangbild und ausgezeichnete Bläser (Horn und Klarinette). Auch hier kann ich mir ein Zitat nicht verkneifen: „Die Staatskapelle …führte Rossinis motivische Plapperei mit feinen Crescendo-Wirkungen aus, gab per exzellenter Holzbläser etwas von affektbetonter Reflexion zu kosten. Eng geführte Hörner bei chromatischen Linien, Streicher mit sturzbachartigen Skalen und sich mächtig aufblasende Blechbläser ließen wirklich an eine klingende Himmelfahrt glauben“ (TA).
Musikalisch also ein gelungener Abend, bei der Inszenierung – Pause übrigens überraschenderweise mitten im zweiten Akt – schieden sich allerdings die Geister. Der Regisseur Karsten Wiegand (geb. 1972) lässt das Stück in heutiger Zeit spielen. Im ersten Akt haben sich in einem Auditorium Doge und Patrizier (in schwarze Roben gekleidet) und hohe Militärs in ordensgeschmückten Uniformen unter einer großen Weltkarte versammelt, um den Bericht Otellos entgegen zu nehmen. Dieser erscheint in schlichter Felduniform und hält am Rednerpult mit Rücken zum Publikum seine auf Video-Leinwand übertragene Rede. Etwas befremdlich für eine Geschichte von heute wirkt dann allerdings, dass die durchaus selbstbewusst gegenüber ihrem Vater auftretende Desdemona zu ihrer Hochzeit geht, ohne vorher zu fragen, wen sie denn eigentlich heiraten soll oder darf. Ihre heftige Weigerung – mit in der Partitur nicht vorgesehenen lauten veristischen „No“s bekräftigt – führt bekanntlich dazu, dass die Hochzeit platzt, die festlich-schön kostümierte Hochzeitsgesellschaft macht sich aber schnell noch über die riesige Hochzeitstorte her, alle – Chor und Solisten – essen, singen, essen und werfen schließlich die Reste durch die Gegend, im Text heißt es ja schließlich: „Smanio, deliro e tremo“ (Ich tobe, ich rase, ich zitt’re). – Klamauk pur!
Die Szene leert sich, zurück bleiben Desdemona und Rodrigo, den die Mitteilung Desdemonas, sie sei Otellos Frau, „von den Füßen haut“, d. h. er sinkt nicht nur einfach auf einen Stuhl, sondern geht komplett zu Boden und verschwindet hinter der Festtafel und damit völlig aus dem Blickfeld des Publikums. Dort am Boden singt er auch den Anfang seiner großen Szene, kommt mühsam wieder auf die Beine, während das Personal beginnt, die Tische abzuräumen; bei dem laut klirrenden Geschirr als Begleitgeräusch zu diesem musikalischen Höhepunkt bleibt es aber nicht; denn damit das Personal merkt, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt fürs Aufräumen ist, dreht Rodrigo – wohlgemerkt alles während seiner Arie – eine Runde und schließt nach und nach alle sechs Türen mit lautem Knall. Zwischendurch war auch noch ein Gast auffällig unauffällig herumgeschlichen, um sein vergessenes Jackett zu holen. Was sonst noch alles in dieser Szene passiert ist, kann ich nicht berichten, da ich die Augen geschlossen hielt, jedenfalls solange, bis mich der nächste Lärm wieder hochschreckte.
Bei der Diskussion am Folgetag begründete der Regisseur dies alles damit, dass sich eben eine um das Fest gebrachte Gesellschaft so verhält, ebenso das Personal, das endlich aufräumen und Feierabend haben möchte, und der Tenor seine Szene ohnehin viel engagierter und differenziert gestaltend singen kann, wenn er etwas dabei zu tun hat. Ich meine: Wenn es denn schon bis in die Einzelheiten hinein realistisch sein muss, müsste es eigentlich doch auch ohne Lärm gehen.
Nach Verwandlung per Drehbühne ist
man wieder auf einem kahlen Platz vor einem Haus; Duett und Terzett
gehen nahtlos ineinander über, da das Rezitativ dazwischen einfach
gestrichen ist (Erklärung des Regisseurs: Überflüssig, das gleiche
wird ja gleich noch mal erzählt!). Desdemona irrt dann bei ihrer
Solo-Szene zwischen den hin und her und durcheinander laufenden Damen
fragend und suchend über die Bühne, – gute Personenregie, aber m.
E. zu unruhig und ablenkend von der Musik, – also: Augen zu!
Im letzten Akt gab es dann erhebliche Eingriffe in die Partitur. Die Idee, das Lied des Gondoliere von Otello singen zu lassen, der während der gesamten Desdemona-Szene im Bühnenhintergrund hin und her geht, rechtfertigte der Regisseur damit, dass sich das Publikum dann nicht mit dem Gedanken beschäftigen muss, wer da eigentlich singt. Das Rezitativ der Desdemona nach dem Lied des Gondoliere wird dann von ihr nicht gesungen, sondern sie deklamiert den Text, während im Hintergrund Otello das Lied des Gondoliere wiederholt. Die Figur des Lucio, der Otello nach der Tötung Desdemonas von der aufgedeckten Intrige Jagos berichtet, gibt es einfach nicht, diese Passagen singt Emilia; Erklärung des Regisseurs: Das Publikum würde abgelenkt, wenn plötzlich eine völlig neue Figur aufträte.
Die letzte Szene war dann aber ungemein stark inszeniert und hat für viele vorangegangene Irritationen wieder entschädigt. Das Bett Desdemonas, ein mit weißen Tüchern umfunktionierter Tisch, wird auf die Vorbühne geschoben, dahinter schließt sich der Vorhang. Otello legt sich neben die schlafende Desdemona, die Auseinandersetzung nach ihrem Erwachen wird ein realistisch bis auf die Unterwäsche inszeniertes Ringen zwischen Liebe und Tod. Als Lucio (bzw. – in Weimar – Emilia) kommt, deckt Otello die erwürgte Desdemona schnell mit einem weißen Laken zu, der Vorhang geht auf, und das Bett ist plötzlich das vordere Ende einer langen Festtafel, an der sich die Hochzeitsgesellschaft frohgemut für die Feier des Happy Ends versammelt hat. Besonders bestürzend ist der Moment, in dem Elmiro Otello die Hand Desdemonas gewährt und Otello ganz langsam die Hand der toten Desdemona unter dem weißen Laken hervor zieht und anstarrt. Otello ersticht sich aus Verzweiflung, oder ….Zitat aus der TLZ zum letzten Bild: „Als der Vorhang aufgeht, sieht man den Dogen samt den Granden Venedigs bei Tisch versammelt. Unweigerlich wurden sie Ohrenzeugen des Lustmords, spießige Voyeure also, die den farbigen Feldherren in postkoitaler Trauer überraschen. Jovial verzeihen sie ihm alle Intrigen und bieten dem Außenseiter einen Platz in ihrer dünkelhaften Clique. Aber ist es wirklich nur Verzweiflung über die ungerechte Tat an der geliebten Desdemona, wenn sich Othello, das Drama zu vollenden, selbst ersticht? Oder nicht auch Scham in dieser narrenhaften Beischlaf-Situation, in der entdeckt zu werden, abermals alle sozialen Konventionen bricht?“ --- Wie bitte? Lustmord? Lauscher am Vorhang? Hätte der ansonsten ja um realistische Darstellung bemühte Regisseur also besser ein Schlafzimmer mit Wand auf die Bühne stellen sollen?
Der Regie gelangen somit auch sehr beeindruckende Momente. Dem Regisseur möchte ich für die Zukunft einfach nur mehr Respekt vor der Musik und mehr Vertrauen in die Bereitschaft und Fähigkeit des Publikums zu intuitivem Verständnis wünschen.
(Besuchte Aufführung: Premiere vom 5. Mai 2005)
Beitrag für das Mitteilungsblatt
der DRG Nr. 34 (Juni 2005)