Liverpool ist Kulturhaupstadt Europas 2008, und zur Eröffnung des Festjahres wurde – wie bereits 1957 zum 750. Stadtjubiläum von Liverpool – Donizettis Oper „Emilia di Liverpool“ ausgegraben.
Nach den Aufführungen in Liverpool tourt die Produktion (Inszenierung: Ignacio Garcia) nun durch mehrere europäische Hafenstädte und kam so auch für zwei Aufführungen (24. und 25. Januar 2008) in das Neue Schauspielhaus Bremen, was zugleich die deutsche Erstaufführung dieser Oper bedeutete. Die Sache war offensichtlich sehr kurzfristig ins Programm genommen worden; die diesbezügliche Pressemitteilung datiert vom 8. Januar 2008, und dass wir in Hamburg von diesem Ereignis gerade noch rechtzeitig erfahren haben, war nur einem glücklichen Zufallsfund im Internet zu verdanken.
Veranstalter des Projekts ist das in Liverpool ansässige European Opera Centre (President of The Council of Honour: Kent Nagano), das sich mit finanzieller Unterstützung der EU die praktische Ausbildung von Nachwuchssängern zur Aufgabe gemacht und seit 1997 diverse Opernprojekte durchgeführt hat (http://www.operaeurope.org/).
Aufgeführt wurde die Erst-Fassung von 1824, angereichert mit einigen Nummern aus der Fassung von 1828. Also ein Frühwerk von Donizetti, und dass er stark unter dem Einfluss Rossinis stand – dieser hatte gerade im Jahr zuvor sein Meisterwerk „Semiramide“ geschaffen - , war nicht zu überhören. Da kam einer Rossinianerin vieles recht bekannt vor, da gab es z. B. Cabaletten, ein weitgehend syllabisch gesungenes Ensemble à la Cenerentola, ein großes Duett zweier Buffo-Bässe, - der eine ist schwerhörig, dem versucht der andere in neapolitanischem Dialekt zu erklären, was da abläuft - , eine große Szene für einen dramatischen Koloraturbass und ein Finale mit abschließendem Jubel-Rondo der Titelfigur wie in „La donna del lago“, auch das Stilmittel des Crescendo wird eingesetzt.
Die Oper wurde geschrieben für das Teatro Nuovo in Neapel, das seinerzeit nur komische und Semi-Seria-Opern aufführen durfte und als Opernhaus für das Volk von den Komponisten die Einhaltung bestimmter Vorgaben verlangte: gesprochene Dialoge und eine Hauptrolle für einen Bass-Buffo in neapolitanischem Dialekt. Und so war eine Opera semi-seria mit Dialogen, die gelegentlich mit kleinen Gags auf deutsch angereichert waren, und einer ziemlich wilden Mischung aus Racheschwüren und komischen Szenen zu bestaunen.
Dem reichlich verworrenen Geschehen konnte man mit Hilfe der deutschen Texte, die groß auf eine Stellwand im Bühnenhintergund projektiert wurden, gut folgen. Das Orchester saß links auf der Bühne, die Szenerie bestand im Wesentlichen nur aus einer Grabstätte mit Kreuz. Die kurzen Chorpassagen waren gestrichen bzw. wurden irgendwie orchestral umschifft.
Die Handlung spielt bei einer Einsiedelei auf einem Hügel vor dem Hintergrund einer - so das Libretto - „montagna alpestre“ einige Meilen von London entfernt,…ein alpines Gebirge in England? Der Fantasie des Librettisten sind eben keine Grenzen gesetzt.
Das Personal dieser Oper besteht im Wesentlichen aus zwei Vätern (Bässe), deren Töchtern sowie dem Ex-Verlobten der einen und aktuellem Verlobten der anderen Tochter (Don Romualdo, das ist die Rolle für den Bass mit neapolitanischem Dialekt); dazu noch der leichtlebige Federico (Tenor), der die eine Tochter – nämlich Emilia – früher mal verführt und verlassen hat und jetzt hinter der ihm durchaus zugeneigten Luigia, Tochter des anderen Basses und Verlobte des Don Romualdo, her ist. Wie der Opern-Zufall es so will, kommen – egal, ob sie nun in Richtung Italien reisen oder aus langjähriger Sklaverei in Nordafrika entflohen sind - alle diese Personen zur selben Zeit an demselben Ort zusammen, nämlich der Einsiedelei, in die sich Emilia zwecks Buße zurückgezogen hat, und jedes Mal, wenn einer der Handelnden begreift, welchen Bösewicht er da vor sich hat, ist das ein operngerechter Anlass für eine dramatische Attacke, der dann aber oft ziemlich abrupt eine komische Szene folgt. Schließlich wird allen Geläuterten großmütig verziehen, und am Ende gibt es zwei – wohl nur einigermaßen - glückliche Paare (Emilia kriegt ihren Tenor, Luigia bleibt bei ihrem Verlobten) und zwei zufriedene Väter.
Die musikalische Ausführung der besuchten Vorstellung vom 24. Januar (für die Vorstellung am Folgetag war in vier Hauptpartien eine andere Besetzung vorgesehen) hatte höchst ansprechendes Niveau, besonders beachtlich für die meist erst 24 / 25 Jahre jungen Solisten. Francesca Park hatte mit ihrem dramatischen Sopran keinerlei Schwierigkeiten mit der Bewältigung der Titelpartie und brillierte im Schluss-Rondo mit von Strophe zu Strophe sich steigernden Koloraturen. Hervorzuheben ist Marc Canturri als Emilias Vater Claudio mit schön timbriertem und koloratur- und höhensicherem Bass und großer Bühnenpräsenz (Porträt Marc Canturri.). Überzeugen konnten auch die beiden Buffo-Bässe Vincenzo Taormina (Don Romualdo) und Vasco Fracanzani (Il Conte, Vater von Luigia). Dem Tenor von Philippe Talbot fehlt wohl noch etwas Feinschliff in puncto Stimmkultur. Die Sängerinnen der kleineren Partien, Joelle Fleury (Luigia) und Adriana Festeu (Candida) waren eher unauffällig. Der Dirigent Giovanni Pacor führte Orchester und Solisten sicher durch den Abend.
Bei Opera Rara ist eine 3-CD-Kassette mit Aufnahmen der Fassungen von 1824 („Emilia di Liverpool“) und von 1828 („L’eremitaggio di Liwerpool“) erschienen (mit Yvonne Kenny, Sesto Bruscantini, Chris Merritt, Geoffrey Dolton u.a.); die Dialoge sind nicht mit aufgenommen, sondern nur im Libretto nachzulesen.
Ferner gibt es bei Myto auf einer CD die von der BBC 1957 aufgenommenen Ausschnitte mit Joan Sutherland (Fassung von 1828).