4. August 2012

"Adina" - Entführung aus dem Serail à la Rossini beim Festival "Rossini in Wildbad" 2012




Adina ist wohl seit jeher Rossinis unbekannteste Oper, - nicht einmal Rossini selbst hat sie auf der Bühne erlebt, er kannte auch nicht die Sänger - insbesondere auch nicht die Sängerin der Titelpartie, für die er diese Oper komponierte. Die Umstände ihrer Entstehung sind mysteriös. Der Vertrag über dieses Auftragswerk wurde über mehrere Mittelsmänner geschlossen, der Auftraggeber ist bis heute anonym geblieben, ebenso wie die Sängerin - eine Sopranistin in Lissabon - , für die die Oper als Geschenk gedacht war. Unbekannt ist auch, ob die Oper möglicherweise nach ihrer im August 1818 erfolgten Übergabe in einer vom Auftraggeber veranstalteten Privatvorstellung aufgeführt worden ist. Die erste und zu Rossinis Lebzeiten einzige belegte Aufführung fand am 22. Juni 1826 am Teatro São Carlos in Lissabon statt, - dort hatte sie der Bass Cartagenova für sein Benefizkonzert ausgesucht (zusammen mit dem zweiten Akt von Semiramide), - da wäre es interessant zu erfahren, ob dieser Sänger die Oper kannte bzw. wo und wie er an die Noten gekommen war (das Autograph und die Publikationsrechte waren jedenfalls bei Rossini verblieben). Am 14. Februar 1828 soll die Oper dann noch unter dem Titel O Grão Duque de Granada am Teatro S. Pedron in Rio de Janeiro gespielt worden sein. Erst ab 1963 wurde das Werk wieder aufgeführt, 1999 und 2003 auch beim "Rossini Opera Festival" in Pesaro (2003 mit Joyce DiDonato in der Titelpartie) nach der von der Fondazione Rossini erarbeiteten Kritischen Ausgabe.


Foto: Patrick Pfeiffer / RiW
Zum Inhalt: Adina ist als Sklavin ins Serail des Kalifen von Bagdad gelangt. Dieser fühlt sich an seine einstige Geliebte Zora erinnert, die er heiraten wollte, aber nach den Kämpfen um Medina und zweimonatiger Gefangenschaft nicht wiederfinden konnte und fünfzehn Jahre lang vergeblich in ganz Asien gesucht hat, wie er seinem Vertrauten Alì berichtet, der sich über die Geduld des Kalifen gegenüber Adinas Widerspenstigkeit wundert. Auch Adina fühlt sich zum Kalifen hingezogen und willigt schließlich ein, ihn zu heiraten. Da erscheint Selimo, der Gefährte ihrer Kindheit und Jugend, Adina ist hin und her gerissen zwischen ihren Gefühlen, erklärt sich aber - wenn auch mit schlechtem Gewissen - zur Flucht mit Selimo bereit. Der Fluchtversuch scheitert, der Kalif befiehlt Selimos sofortige Hinrichtung, Adina bittet vergeblich um Gnade und fällt in Ohnmacht. Als sich der Kalif in wieder erwachter Fürsorge zu ihr beugt, entdeckt er an ihrem Hals ein Band mit seinem Porträt, das er einst Zora geschenkt hat und auf dessen Rückseite steht "Adinas Vater". Er kann die Hinrichtung Selimos gerade noch verhindern, und einem Happy End steht nichts mehr im Wege.

Adina ist - dem Wunsch des Auftraggebers entsprechend - eine einaktige Farsa semiseria mit Chor. Auffallend ist, dass es neben der Titelpartie keine weitere weibliche Partie gibt, - nicht einmal eine sonst übliche Dienerin. Adina ist von Männern umgeben - auch der Chor ist nur für Männerstimmen komponiert -, unter denen sie sich frei bewegen kann, - so wie es ihre Mutter offenbar auch konnte, allerdings mit dem Ergebnis einer unehelichen Schwangerschaft... Meiner Meinung nach ein doch irgendwie seltsames Bild vom mohammedanischen Orient, den uns da das Libretto vermitteln möchte. Dann noch der Kalif, der offenbar keinerlei Interesse an dem bisherigen Leben der Frau hat, die in ihm nach fünfzehn langen Jahren wieder Liebe erweckt, auf deren Erwiderung er geduldig wartet. Hätte er sie gefragt, hätte sie ihm bestimmt von ihrer Mutter erzählt und das Porträt gezeigt, - aber dann gäbe es auch nicht diese liebenswerte Oper mit den wunderbar in Musik umgesetzten Seelenqualen Adinas...und auch wenn man bei der Oper bekanntlich nicht auf Logik bestehen soll: die Geschichte wäre sicherlich glaubhafter, wenn erst Selimo das bewusste Porträt, das ihm nach dem Raub Adinas ja die sterbende Zora gegeben haben könnte, mitgebracht hätte.

Inszenierung und Bühnenbild von Antonio Petris bebilderten die Handlung stimmungsvoll mit orientalischen Anklängen.

Foto: Patrick Pfeiffer / RiW

Auch wenn nicht alle Nummern neue Kompositionen Rossinis sind - neben mehreren Selbstanleihen aus Sigismondo sind auch Nummern ganz oder teilweise von fremder, bis heute unbekannter Hand -, so ist Adina dennoch eine lohnende Wiederentdeckung. Insbesondere die für die Titelpartie geschriebene Musik bringt eindrucksvoll die wechselnden Seelenzustände Adinas - ihre Ängste, ihre Liebe im Wettstreit mit ihren Gewissensbissen, ihre überraschte Freude über die glückliche Wendung - zum Ausdruck, ebenso wie das Schwanken des Kalifen zwischen liebevollem Verständnis und enttäuschter Wut.

Die durchweg jungen Sänger konnten dies gekonnt und schönstimmig vermitteln: Rosa Fiocco war eine reizende Adina, Raffaele Facciolà ein überzeugender Kalif. Auch die beiden Tenöre - Vassilis Kavayas als Selimo und Christopher Kaplan als Alì - gefielen mit ihren schön timbrierten Stimmen. Der in Bad Wildbad sehr beliebte Bruno Praticò hatte - neben seiner Hauptpartie in I briganti - in Adina die kleine Rolle des Mustafà, Gärtner des Serails, übernommen, die aufgewertet wurde, indem nach einem kleinen "Disput" mit dem Dirigenten (und somit für das Publikum erkennbar) die Arie des Batone aus L'inganno felice "Una voce m'ha colpito" geschickt eingefügt wurde. Hervorzuheben sind die Leistungen des Camerata Bach Chor Posen und der Virtuosi Brunenses unter der animierenden Leitung von Antonino Fogliani.

Und da es beim Festival in Bad Wildbad liebenswert familiär zugeht, durfte der gerade der Kinderkarre entwachsene Sohn des Dirigenten - beide sind im obigen Video zu sehen - an der Hand von Bruno Practicò mit auf die Bühne und das Orchester zum Aufstehen zur Entgegennahme des Applauses mit der beim Papa abgeschauten Handbewegung auffordern.


Besuchte Vorstellung: 20. Juli 2012