31. Juli 2012

"Rossini in Wildbad" 2012: "Semiramide" ungekürzt und mit erstklassigen Solisten

Rossinis Semiramide ungekürzt - das bedeutet großes Durchhaltevermögen für alle Beteiligten. Der erste Akt dauert rekordverdächtige 2:15 Stunden, der zweite Akt dann noch einmal annähernd zwei Stunden, aber bei einer Aufführung "aus einem Guss", wie sie in Bad Wildbad zu erleben war, kann sogar bei einer derart langen konzertanten Aufführung die Zeit wie im Fluge vergehen. Um der Handlung folgen zu können, enthielten die zweisprachigen Übertexte auch die Szenenangaben zum jeweiligen Ort des Geschehens und zu den handelnden Personen.

Die am 3. Februar 1823 am Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführte Semiramide ist Rossinis Abschied von der italienischen opera seria und zugleich deren Höhepunkt. Und es ist die einzige für Venedig geschriebene Oper Rossinis, die - entgegen der üblichen Regel - mit einer Tötung enden durfte. Nur wenige Wochen zuvor hatte Rossini noch seinen Maometto II für die Aufführung am Teatro La Fenice umschreiben und mit einem glücklichen Ende versehen müssen, sogar sein Otello hatte für Venedig ein Happy End erhalten müssen...

Die Oper besteht aus nur dreizehn Nummern von teils beträchtlicher Länge. Durch die opulent instrumentierten Rezitative und die zahlreichen Einwürfe des Chores bei Arien und Duetten entsteht sogar der Eindruck einer weitgehend durchkomponierten Oper. Abgesehen von zwei kleineren Passagen hat Rossini keine Selbstanleihen aus anderen Werken vorgenommen, sondern für Semiramide neue originale Musik geschaffen. Und wenn man in der Ouvertüre die Melodie von "Freut euch des Lebens" zu erkennen meint, so ist das keineswegs abwegig; denn Rossini soll einer Anekdote zufolge Metternich zuliebe dessen Lieblingsvolkslied eingearbeitet haben...

Ich hatte das Glück, Semiramide bereits zuvor mehrmals in teils exquisiten Besetzungen zu hören:
1983 und 1985 in Hamburg konzertant mit Montserrat Caballé, Marilyn Horne, Francisco Araiza bzw. Chris Merritt und Samuel Ramey unter Michel Plasson bzw. Henry Lewis (gekürzte Fassung); 2001 in Lüttich konzertant - unter Alberto Zedda natürlich ohne Striche - mit Darina Takova, Ewa Podles, Rockwell Blake und Boris Martinovich; 2003 - wieder unter Zedda - in Berlin mit Darina Takova, Jennifer Larmore, Gregory Kunde und Simone Alaimo; ebenfalls 2003 in Pesaro unter Carlo Rizzi mit Darina Takova, Daniela Barcellona, Gregory Kunde und Ildar Abdrazakov und dann nochmals 2004 in Berlin unter Patrick Fournillier mit Denia Mazzola, Hadar Halévy, Kenneth Tarver und Michele Pertusi, - diesmal um lächerliche ca. 20 Minuten gekürzt, indem die Wiederholungen der Cabaletten gestrichen wurden, bei denen die Sänger doch gerade ihre Kunstfertigkeit durch Verzierungsvarianten sollen zeigen können...
Foto: Patrick Pfeiffer / RiW
v.l.n.r.:Raffaele Facciolà - Marija Jokovic - Lorenzo Regazzo - Alex Penda .- Marianna Pizzolato - Andrea Mastroni - John Osborn
In Bad Wildbad war nun für zwei konzertante Aufführungen von Semiramide, deren Mitschnitt bei Naxos auf CD erscheinen soll, eine neue Sängergeneration angetreten, - in den Hauptpartien Namen, die bereits für sich sprechen, aber hier durchweg - mit Ausnahme der Sängerin der Titelpartie  - mit Rollendebüts. Die ersten gesungenen Phrasen gehören allerdings dem Hohepriester Oroe, und bereits da horchte man auf: Was für eine Stimme, rund und dunkel und ebenmäßig fließend, auch in den Ensembles voll präsent!  Auch wenn es nur eine Nebenrolle ohne eigene Arie war: Dieser junge Bass Andrea Mastroni, der 2005 als Sparafucile debütiert hat, könnte bald in größeren Rollen Aufsehen erregen, vielleicht eines Tages auch als Assur. Den sang dieses Mal Lorenzo Regazzo, faszinierend in Stimme und Mimik, mit bruchlos gleichmäßiger Stimmgebung und klarer Diktion auch bei den sauber gesetzten Koloraturen und bis in die Tiefen hinab, hörbar an Samuel Ramey als großem Vorbild orientiert. Seine große Wahnsinnsszene war einer der Höhepunkte der Aufführung.

Marianna Pizzolato verfügt zwar nicht über die satte Tiefe eines Contraltos, wie man sie bei Marilyn Horne und Ewa Podles hören konnte, in puncto Legatokultur, Koloraturgeläufigkeit und textlicher Gestaltung bot aber auch sie eine exzellente Darbietung in der Rolle des Arsace. Ich erinnere mich immer wieder gerne an Il viaggio a Reims 2003 in Pesaro, wo ich Marianna Pizzolato in der Produktion der Accademia Rossiniana zum ersten Mal hörte, - eine hinreißende Melibea; im Folgejahr sprang sie, die eigentlich nur die Isaura singen sollte, in Pesaro dann kurzfristig in der Titelpartie von Tancredi ein, und damit begann ihre internationale Karriere. Übrigens haben auch weitere diesjährige Solisten von "Rossini in Wildbad" als Teilnehmer der Accademia Rossiniana  in Il viaggio a Reims in Pesaro gesungen: der eingangs erwähnte Andrea Mastroni (Trombonok 2007) sowie die beiden Protagonisten von I briganti: Vittorio Prato (Don Alvaro 2004) und Maxim Mironov (Libenskof 2005). Und der ganz junge Antonino Fogliani hat sich dort 2001 bei Il viaggio a Reims als Nachwuchsdirigent erfolgreich präsentieren können..

Foto (Vorstellung vom 19. Juli 2012): privat
Marianna Pizzolato
Hatte man Lorenzo Regazzo und Marianna Pizzolato bereits in den Vorjahren des Öfteren in Bad Wildbad erleben dürfen und zu Publikumslieblingen gekürt, waren die Sängerin der Titelpartie und der Tenor für den Idreno - beide international bekannt und gefragt - erstmalig bei "Rossini in Wildbad".

Foto (Vorstellung vom 19. Juli 2012): privat
Alex Penda

Als Semiramis ersang sich Alex Penda mit viel persönlichem Einsatz einen großen Erfolg beim Publikum. Im Gegensatz zur völlig ebenmäßigen belkantesken Stimmführung von Marianna Pizzolato bot sie allerdings eine eher expressive Gesangslinie, was in den beiden Duetten von Semiramide und Arsace besonders deutlich wurde. Aber wer ist Alex Penda? Als ich den Namen im Programmheft las, dachte ich zunächst, dass eine interne Abkürzung versehentlich übernommen worden war, aber die Nachfrage ergab: Es sei der Wunsch von Alexandrina Pendatchanska, jetzt Alex Penda zu heißen, da ihr Name schwer zu behalten sei bzw. falsch ausgesprochen werde. Die Überprüfung im Internet bestätigt die Namensänderung (s. Homepage); auch auf der Internetseite der Hamburgischen Staatsoper, an der sie im März im Don Giovanni singen soll, steht jetzt - anders als noch in der gedruckten Saisonvorschau - der Name Alex Penda. Bei Operabase allerdings findet man den neuen Namen für die Spielzeit 2012/13 nicht. Ob der Name wirklich eingängiger ist? In einer Rezension wurde daraus jedenfalls bereits Panda (s. Presseschau).  Es mag ja sicherlich in dem einen oder anderen Fall sogar geboten sein, einen eher karrierehemmenden Namen zu vereinfachen, so wie Pavol Breslik, der bei "Rossini in Wildbad" 2001 noch Bršlik bzw. auf seinen ersten CDs Brslik hieß (s. hier). Aber wie sinnvoll ist eine Namensänderung mitten in einer internationalen Karriere?

Den Idreno sang John Osborn, weltweit gefragt u. a. als Arnold (Guillaume Tell), Rossinis Otello und Rodrigo (La donna del lago), mit einer erstaunlichen Leichtigkeit, höhensicher, aber auch dynamisch differenziert und mit feinen Schattierungen.

Foto (Vorstellung vom 19. Juli 2012): privat
Marianna Pizzolato und John Osborn
Die drei Herren Arsace, Assur und Idreno wetteifern alle um die Gunst von Azema (Marija Jokovic), - und die wurde von Rossini nicht einmal mit einer kleinen Sorbettoarie bedacht, sondern hat nur ein paar Rezitativ-Sätze zu singen. Was aus ihr und insbesondere auch aus Idreno wird, ist dem Libretto nicht zu entnehmen, beide Partien verlieren sich irgendwie ins Nichts, und es bleibt der Regie überlassen, ob beide (oder zumindest Azema) am Ende überhaupt noch auf der Bühne sind; in der Pariser Fassung von 1825 vereint immerhin die sterbende Semiramide Arsace mit Azema. In weiteren Nebenrollen gefielen der Tenor Vassilis Kavayas als Mitrane und der Bass Raffaele Facciolà als Geist des Königs Ninos.

Foto (Vorstellung vom 19. Juli 2012): privat

Besonders hervorzuheben ist das Dirigat von Antonino Fogliani - seit 2004 Jahr für Jahr bei "Rossini in Wildbad" und seit 2011 musikalischer Leiter des Festivals - , der offenbar den Siebten Sinn für Rossini und die richtigen Tempi hat und zugleich den Sängern ein rücksichtsvoller Begleiter ist. Zu bewundern ist auch sein Durchhaltevermögen - hat er doch dieses Jahr alle drei Opernproduktionen geleitet, - und das gilt natürlich auch für den Camerata Bach Chor Posen und die Virtuosi Brunensis, die mit den drei Opern und den erforderlichen Proben ein Riesenprogramm zu bewältigen hatten; für das Orchester kam noch ein Sinfoniekonzert hinzu.

Ein krönender Abschluss eines in jeder Hinsicht gelungenen Festivals! Nach rund 4 1/2 Stunden verließ man etwas erschöpft, aber beglückt die Trinkhalle, in der dieses Jahr alle Opern aufgeführt wurden, da im Kurtheater wegen Bauarbeiten nicht gespielt werden konnte. Auch nächstes Jahr wird das Kurtheater leider noch geschlossen sein. Für das dann zu begehende 25-jährige Jubiläum des Festivals ist Großes geplant: Rossinis Guillaume Tell! Natürlich - wie ebenfalls nächstes Jahr in Pesaro - die ungekürzte Fassung! In Pesaro soll Juan Diego Flórez den Arnold singen, in Bad Wildbad werden wir uns auf Michael Spyres freuen dürfen (s. hier), in dessen Anfangsjahren der Otello bei "Rossini in Wildbad" ein wichtiger Höhepunkt war und der dieses Jahr als Baldassare in Ciro in Babilonia in Pesaro debütieren wird.

(Besuchte Vorstellung: 22. Juli 2012)

Mitschnitte aus Bad Wildbad auf CD / DVD:
"Rossini in Wildbad" - Diskografie