Die am 3. Februar 1823 am Teatro La Fenice in Venedig uraufgeführte Semiramide ist Rossinis Abschied von der italienischen opera seria und zugleich deren Höhepunkt. Und es ist die einzige für Venedig geschriebene Oper Rossinis, die - entgegen der üblichen Regel - mit einer Tötung enden durfte. Nur wenige Wochen zuvor hatte Rossini noch seinen Maometto II für die Aufführung am Teatro La Fenice umschreiben und mit einem glücklichen Ende versehen müssen, sogar sein Otello hatte für Venedig ein Happy End erhalten müssen...
Die Oper besteht aus nur dreizehn Nummern von teils beträchtlicher Länge. Durch die opulent instrumentierten Rezitative und die zahlreichen Einwürfe des Chores bei Arien und Duetten entsteht sogar der Eindruck einer weitgehend durchkomponierten Oper. Abgesehen von zwei kleineren Passagen hat Rossini keine Selbstanleihen aus anderen Werken vorgenommen, sondern für Semiramide neue originale Musik geschaffen. Und wenn man in der Ouvertüre die Melodie von "Freut euch des Lebens" zu erkennen meint, so ist das keineswegs abwegig; denn Rossini soll einer Anekdote zufolge Metternich zuliebe dessen Lieblingsvolkslied eingearbeitet haben...
Ich hatte das Glück, Semiramide bereits zuvor mehrmals in teils exquisiten Besetzungen zu hören:
1983 und 1985 in Hamburg konzertant mit Montserrat Caballé, Marilyn Horne, Francisco Araiza bzw. Chris Merritt und Samuel Ramey unter Michel Plasson bzw. Henry Lewis (gekürzte Fassung); 2001 in Lüttich konzertant - unter Alberto Zedda natürlich ohne Striche - mit Darina Takova, Ewa Podles, Rockwell Blake und Boris Martinovich; 2003 - wieder unter Zedda - in Berlin mit Darina Takova, Jennifer Larmore, Gregory Kunde und Simone Alaimo; ebenfalls 2003 in Pesaro unter Carlo Rizzi mit Darina Takova, Daniela Barcellona, Gregory Kunde und Ildar Abdrazakov und dann nochmals 2004 in Berlin unter Patrick Fournillier mit Denia Mazzola, Hadar Halévy, Kenneth Tarver und Michele Pertusi, - diesmal um lächerliche ca. 20 Minuten gekürzt, indem die Wiederholungen der Cabaletten gestrichen wurden, bei denen die Sänger doch gerade ihre Kunstfertigkeit durch Verzierungsvarianten sollen zeigen können...
Foto: Patrick Pfeiffer / RiW v.l.n.r.:Raffaele Facciolà - Marija Jokovic - Lorenzo Regazzo - Alex Penda .- Marianna Pizzolato - Andrea Mastroni - John Osborn |
Marianna Pizzolato verfügt zwar nicht über die satte Tiefe eines Contraltos, wie man sie bei Marilyn Horne und Ewa Podles hören konnte, in puncto Legatokultur, Koloraturgeläufigkeit und textlicher Gestaltung bot aber auch sie eine exzellente Darbietung in der Rolle des Arsace. Ich erinnere mich immer wieder gerne an Il viaggio a Reims 2003 in Pesaro, wo ich Marianna Pizzolato in der Produktion der Accademia Rossiniana zum ersten Mal hörte, - eine hinreißende Melibea; im Folgejahr sprang sie, die eigentlich nur die Isaura singen sollte, in Pesaro dann kurzfristig in der Titelpartie von Tancredi ein, und damit begann ihre internationale Karriere. Übrigens haben auch weitere diesjährige Solisten von "Rossini in Wildbad" als Teilnehmer der Accademia Rossiniana in Il viaggio a Reims in Pesaro gesungen: der eingangs erwähnte Andrea Mastroni (Trombonok 2007) sowie die beiden Protagonisten von I briganti: Vittorio Prato (Don Alvaro 2004) und Maxim Mironov (Libenskof 2005). Und der ganz junge Antonino Fogliani hat sich dort 2001 bei Il viaggio a Reims als Nachwuchsdirigent erfolgreich präsentieren können..
Foto (Vorstellung vom 19. Juli 2012): privat Marianna Pizzolato |
Foto (Vorstellung vom 19. Juli 2012): privat Alex Penda |
Den Idreno sang John Osborn, weltweit gefragt u. a. als Arnold (Guillaume Tell), Rossinis Otello und Rodrigo (La donna del lago), mit einer erstaunlichen Leichtigkeit, höhensicher, aber auch dynamisch differenziert und mit feinen Schattierungen.
Foto (Vorstellung vom 19. Juli 2012): privat Marianna Pizzolato und John Osborn |
Foto (Vorstellung vom 19. Juli 2012): privat |
Ein krönender Abschluss eines in jeder Hinsicht gelungenen Festivals! Nach rund 4 1/2 Stunden verließ man etwas erschöpft, aber beglückt die Trinkhalle, in der dieses Jahr alle Opern aufgeführt wurden, da im Kurtheater wegen Bauarbeiten nicht gespielt werden konnte. Auch nächstes Jahr wird das Kurtheater leider noch geschlossen sein. Für das dann zu begehende 25-jährige Jubiläum des Festivals ist Großes geplant: Rossinis Guillaume Tell! Natürlich - wie ebenfalls nächstes Jahr in Pesaro - die ungekürzte Fassung! In Pesaro soll Juan Diego Flórez den Arnold singen, in Bad Wildbad werden wir uns auf Michael Spyres freuen dürfen (s. hier), in dessen Anfangsjahren der Otello bei "Rossini in Wildbad" ein wichtiger Höhepunkt war und der dieses Jahr als Baldassare in Ciro in Babilonia in Pesaro debütieren wird.
(Besuchte Vorstellung: 22. Juli 2012)
Mitschnitte aus Bad Wildbad auf CD / DVD:
"Rossini in Wildbad" - Diskografie