30. September 2012

Es darf gebuht werden! - "L'Opera seria" von Florian Leopold Gassmann in Herrenhausen (Staatsoper Hannover)

Die im Titel genannte Opera seria heißt "L'Oranzebe" und soll an einem Tag geprobt und aufgeführt werden. Komponist Sospiro und Librettist Delirio sind von ihrem Werk sehr angetan, dem Impresario Fallito ist das aber viel zu lang, und er kürzt und zerfetzt gnadenlos. Dann treffen der Tenor und die drei Sängerinnen ein, streiten sich natürlich um alles und verlangen zusätzliche Arien. Dann wird - mehr oder weniger erfolgreich und unter Spott und Gelächter - geprobt. Im dritten Akt beginnt dann die Premiere der Oper "L'Oronzebe", deren Handlung das Programmheft in der "Kurzen Inhaltsangabe" (es gibt noch eine mehrseitige "Weniger kurze Inhaltsangabe") wie folgt beschreibt: "Ein siegreicher Feldherr gerät in Liebesentscheidungsnot zwischen seiner Gefangenen, der indischen Königin, und der Schwester seines Herrschers, der Prinzessin von Hindustan". Der Feldherr ist der Tenor, der in einem von einem großen Krokodil gezogenen Kampfwagen seinen großen Auftritt hat und seinem Herrscher Oranzebe, Kaiser der Mogulen, die gefangene indische Königin präsentiert; dazu gibt es den "Auftritt" eines erstaunlich echt wirkenden Elefanten. Die neue Oper wird aber ein großer Misserfolg, der Impresario hat sich mit den Einnahmen davon gemacht, alles endet in einer großen Prügelei.

Gassmanns Commedia per musica "L'Opera seria" ist eine wunderbare Parodie auf die spätbarocke Oper und den gesamten damaligen Opernbetrieb. Sie wurde 1769 im Burgtheater in Wien uraufgeführt. Florian Leopold Gassmann (1729 - 1774) war seit 1763 am Wiener Hof als Nachfolger Glucks tätig und wurde 1772 Hofkapellmeister. Das Libretto stammt von Calzabigi. Das barocke Galeriegebäude in Hannover-Herrenhausen ist das stilvolle Ambiente für die Aufführung:


Foto: NDR mit Verweis auf www.festwochen-herrenhausen.de
Das Video der Staatsoper Hannover gibt einen guten Eindruck von den zahlreichen fantasievollen inszenatorischen Einfällen:

Screenshots vom
Besonderes Vergnügen bereitete die überraschende Einlage zu Beginn des dritten Akts: eine von "Prof. Dr. Gundula Grantig-Romberg, Musikwissenschaftlerin" tiefernst vorgetragene Einführung in Ursprung ("Muh"!), Geschichte und Praxis des Buhens inkl. Übungen in Atemtechnik zur Erzielung eines sonoren tragfähigen Buhtons. Bei der praktischen Erprobung nach Geschlechtern getrennt lieferten - entgegen allen bisherigen Forschungsergebnissen von Frau Professor - die Frauen das stärkere Buhkonzert... Als dann im Verlauf des dritten Akts die ersten inszenierten Buhs sozusagen partiturgemäß ertönten, stimmte das Premierenpublikum allerdings nur zögerlich ein, - es war ja auch schon beinahe ein Konfliktsfall: einerseits hatte man in jeder Hinsicht seinen Spaß und somit überhaupt keinen Grund zum Buhen, andererseits bot sich aber auch die seltene Gelegenheit von "Oper zum Mitmachen".

Auch die Sängerinnen und Sänger und der gelegentlich in die Handlung mit einbezogene Dirigent hatten offenkundig ihren Spaß an dem szenischen Wirbel bis hin zum Klamauk, ohne dabei aber die musikalische Seite zu vernachlässigen. Da gab es wunderschöne, im barocken Stil übertriebene Arien mit Koloraturgewitter zu hören, - ein besonders einprägsamer "Ohrwurm" ist für mich die Arie der Porporina (s.u. die Videos mit Janet Williams) - aber es gab auch Besinnliches. Einen Eindruck von der musikalischen Qualität des Werks mögen die nachfolgenden YouTube-Videos mit Aufnahmen aus früheren Produktionen von "L'Opera seria" vermitteln. Ich möchte von den Mitwirkenden der Hannoveraner Aufführung niemanden besonders hervorheben, sondern allen Beteiligten, die diese Opernrarität als engagiertes Team wieder zum Leben erweckt haben, ein großes Lob aussprechen, - hier die Liste der Mitwirkenden:
Zum Vergrößern bitte ins Bild klicken

Ergänzend verweise ich auf die Rezensionen in der Presseschau.
Besuchte Vorstellung: Premiere am 9. September 2012

Anhang: Videos zu "L'Opera seria"

Nachtrag - Neues Video bei YouTube:
"Eine Opernaffäre" nach Florian Gassmanns "Opera seria"

Die Inszenierung der Schwetzinger Festspiele 1994 unter der
musikalischen Leitung von René Jacobs wurde auch
in Berlin an der Staatsoper unter den Linden,
bei den Innsbrucker Festwochen (1997) und am
Pariser Théâtre des Champs-Élysées (2003) gezeigt:





Berichte über die Aufführung in Paris z.B. bei:

Weitere Inszenierungen: