1. Mai 2013

Die "Revolution der Künstler" - Die aktuelle Diskussion über die Situation Freischaffender im Operngeschäft und ihre Forderungen

 

"Es lebe die Revolution der Künstler!!!" - so Elisabeth Kulman in ihrem Aufruf, den sie Mitte März 2013
 
 
 
Inzwischen gibt es zahlreiche Wortmeldungen und Kommentierungen zum Thema. Forderungen u. a. nach "Goldenen Regeln künstlerischen Schaffens" werden gestellt, zur Teilnahme an der Mai-Kundgebung in Wien wird aufgerufen, und neuerdings hat die Bewegung auch als eigenen Internetauftritt die Seite art but fair sowie als Diskussionsforum die Seite OpernReform, wo die weitere Entwicklung zu verfolgen sein wird. Hier der Versuch eines Überblicks über die Anfänge der Bewegung und die Schwerpunkte des bisherigen Geschehens:
 
Aktueller Auslöser für den fulminanten Auftritt von Elisabeth Kulman als selbsternannte "Jeanne d'Arc der Künstler" war insbesondere die unter der Intendanz von Pereira erfolgte Streichung der Probenpauschale bei den Salzburger Festspielen, so dass nur noch Gagen für tatsächlich gesungene Vorstellungen gezahlt werden und im Krankheitsfall wegen der selbst zu tragenden Unterkunftskosten ein dickes Verlustgeschäft droht. Zitat aus ihrem Interview vom 12. März 2013 im Opernnetz: 
 
Was soll sich ändern? Es ist an der Zeit, den Künstlern endlich die Würde, die Rechte und auch die faire Entlohnung zu geben, die ihnen wie allen anderen arbeitenden Menschen gebührt. Nur weil sie es „gerne“ und „aus Freude“ machen oder ihr „Hobby zum Beruf“ gemacht haben, heißt das nicht, dass sie ihren Beruf gratis ausüben. In jedem anderen Berufsfeld ist es selbstverständlich, dass Arbeit angemessen bezahlt wird. Jeder Handwerker bekommt seinen Lohn, warum der Künstler also nicht?
 
Der Vergleich mit dem Handwerker hinkt natürlich gewaltig - bekommt doch der sein Geld nur bei kompletter Lieferung der vereinbarten Leistung -, und so schildert ein - namentlich nicht genannter - Kollege nicht nur interessante Details über das, was international üblich ist, sondern führt - verbunden mit einem ziemlich unfreundlichen Seitenhieb - auch aus:
 
Ich kenne nach mittlerweile vielen Jahren in diesem Beruf beide Seiten sehr gut und der freiberufliche Weg beinhaltet bei allen Chancen und Freiheiten nun mal auch dieses große Risiko des Verdienstentgangs eben z.B. aufgrund von gesundheitlich bedingten Absagen.
Mit Ausnahme von einigen Veranstaltern in Japan und bei manchen Konzertveranstaltern ist es bei Opernproduktionen an großen Häusern des Weiteren absolut UNÜBLICH, dass man für die Unterbringung gesondert entschädigt wird! Ich finde das teilweise auch hart und es ergibt sich, wie bereits erwähnt, daraus immer ein gewisser zusätzlicher Stress zum ohnehin schon aufregenden Berufsalltag, allerdings kann ich in all diesen Punkten beim besten Willen nichts Unfaires erkennen. Das ist einfach das Risiko des freien Unternehmers - und freiberufliche Sänger sind nun mal solche, so unschön, nüchtern es auch klingen mag - und dieses existiert in anderen Wirtschaftsbranchen genauso. Auch sind diese Tatsachen keine “bösen, neoliberalistischen” Erfindungen des “ach so bösen” Pereira, auf den sich jetzt wieder alle Kleingeister des Landes bei und rund um die Salzburger Festspiele einschießen, sondern einfach die Gesetze des Marktes.
Dass Alexander Pereira die in Salzburg bisher übliche eine Abendgage als Probenvergütung gestrichen hat, stimmt tatsächlich, ist aber in Anbetracht des grundsätzlich guten Gagenniveaus dort durchaus-wenn auch zähneknirschend- zu verschmerzen. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die Entlohnung bei den Bayreuther Festspielen, wo man mit dem Mythos und dem Idealismus rund um Richard Wagner und auch der Wichtigkeit des Festivals den Ausführenden noch viel größere finanzielle Kompromisse abringt als in Salzburg.
Soviel ich weiß, ist Elisabeth Kulman seit einigen Jahren nun auch freiberuflich tätig, allerdings muss man ihr diesen Mangel an Wissen wohl auch deshalb nachsehen, da ihre hierorts medial doch sehr breit getretene “grosse internationale Karriere”- und das mag jetzt auch wieder sehr boshaft klingen - wohl doch größtenteils auf österreichischem Boden stattfindet…
 
Hierzu Elisabeth Kulman:
 
NEIN! Die Welt darf nicht von den “Gesetzen des Marktes” gesteuert werden, sondern muss endlich von Menschlichkeit, dem gegenseitigen Respekt, der Solidarität und der Wertschätzung getragen sein! Das sind die Säulen unserer jahrtausende alten europäischen Kultur, anbegonnen von den großen griechischen und römischen Philosophen, dem Christentum über die Aufklärung bis zur heutigen Zeit!
Die ganze Problematik greift also viel tiefer, als es auf den ersten Blick scheint! Und ich bin überzeugt, dass sich die Weltsicht insgesamt verändern muss und verändern wird! 
 
Am 20. März 2013 berichtete die "Wiener Zeitung" ausführlich: Mezzosopranistin Kulman als Jeanne d'Arc der Gagen. Hierzu die Stellungnahme von Elisabeth Kulman im Leserforum.
 
und
 
 
Unterstützung hat Elisabeth Kulman u. a. von Markus Brück (hier) und von Marlis Petersen erhalten, die sich allerdings wesentlich weniger spektakulär, dafür aber grundsätzlicher äußert: Das Allgemeine hinter dem Speziellen - Gastkommentar von Marlis Petersen vom 19. März 2013. Auch Laura Aikin kritisiert die Nichtzahlung einer Probenpauschale in Salzburg (Arts Journal "Slipped Disc" - mit zahlreichen Kommentaren, u. a. von Thomas Moser hier). U. a. gehören Markus Brück und Marlis Petersen neben Elisabeth Kulman zum Team von art but fair.
 
Am 21. April 2013 hat sich - ebenfalls in einem Gastkommentar auf der Seite von Elisabeth Kulman - der Künstleragent Dr. Germinal Hilbert ausführlich zu Wort gemeldet, - hier ein kurzer Auszug, der u. a. interessante Einblicke in die Gagenstrukturen gibt:
 
Es ist durchaus richtig, dass nur wenige Spitzenstars Höchstgagen erhalten, die mit dem Argument gerechtfertigt werden können, dass diese Künstler für das Publikum und den Veranstalter sehr attraktiv sind und durch erhöhte Einnahmen ihre Gagen rechtfertigen.
Diese wenigen Ausnahmen sind von der prekären allgemeinen Situation nur teilweise betroffen.

Für alle Künstler, die im Opernbereich tätig sind, gibt es eine nationale und internationale Gagenliste. In dieser Liste sind die jeweiligen Gagen, die ein Sänger oder Dirigent an den verschiedenen Opernhäusern erhält, vermerkt.
Auf diese Liste beziehen sich bei den Gagenverhandlungen die einzelnen Opernhäuser und sollen nur in Ausnahmefällen die in der Liste festgesetzte Gage überschreiten.
Dies ist eine Kartellabsprache, die in der freien Wirtschaft nicht möglich wäre.

In Deutschland wird für die Proben vor allem bei Neuinszenierungen eine unterschiedliche Probenpauschale gezahlt. Deshalb lagen bis vor einigen Jahren die deutschen Gagen tiefer als die internationalen Auslandsgagen, da nur mit wenigen Ausnahmen im Ausland Probenpauschalen gezahlt werden.
Durch die höhere Auslandsgage wurde die entfallende Probenentschädigung kompensiert.

Schon vor Beginn der Finanzkrise, als regelmäßig internationale Budgetbeschränkungen erfolgten, orientierten sich die ausländischen Opernhäuser an der deutschen Gagenliste und zahlen nur noch die niedrigere deutsche Gage ohne Kompensation für die Proben.
Wenn dann, wie von Frau Kulman bereits angesprochen, ein Künstler wegen Indisposition Vorstellungen absagen muss, reicht das verbleibende Einkommen nicht, die entstandenen Unkosten zu decken.

 
Keine Probenentschädigung, Abendgage nach Liste - da müsste ja kurzfristiges Einspringen am lukrativsten sein. Als Rettung in der Not freudig begrüßt und volle Abendgage ohne den Zeitaufwand und die Unkosten für u. U. mehrwöchiges Proben? Und wie ist das eigentlich bei Covern, die die Proben mitmachen, bei der Vorstellung einsatzbereit vor Ort sind und dann doch nicht gebraucht werden?
 
Weitere Gastkommentare hier.
 
Auch Ioan Holender hat etwas beizutragen: Ausgehend von der Diskussion über die Ursachen zahlreicher Sängerabsagen (hierzu weiter unten) macht er in einer Art Rundumschlag für alles das "System" - also alle: Sänger, Intendanten, Regisseure, Dirigenten, Musikkritiker - verantwortlich:
 
Die Ursachen der Entscheidungen, welche allmählich zum heute üblichen, allgemeinen "freien Sängerleben" führten, sind zweierlei: einerseits die ebenfalls nur noch gastierenden Regisseure und deren immer wichtiger gewordene Tätigkeit sowie die ebenfalls als Gäste engagierten, sogenannten Stardirigenten – und andererseits die Sänger selbst. Dass diese sich allerdings jetzt öffentlich über den von ihnen selbst hervorgerufenen Zustand beklagen, ist neu und unbegründet.
.....
Die einen haben es eilig, rasch möglichst viel Geld zu verdienen und berühmt zu werden, die anderen, also die Theaterleiter, wollen stets neue Attraktionen, um ihre Positionen zu festigen beziehungsweise zu Höherem aufzusteigen. Und die Medien benützen beide Seiten, um möglichst mit stets neuen Sensationen ihre Blätter zu füllen.
....
Dass dabei manche keine Probenvergütung zahlen, dafür aber entsprechend höhere Abendgagen, ist auch nicht gut und richtig, aber in Anbetracht all der Möglichkeiten und Vorteile, welche Sänger heute weltweit haben, ist dies bei Weitem nicht so arg wie die Gesamtentwicklung des ganzen Systems, verursacht von beiden Seiten.
(Mehr: Lock-Arie des Geldes - Die Welt vom 24. April 2013)
 
Bei der Argumentation von Herrn Holender fällt mir auf, dass es für ihn nur Sänger zu geben scheint, die nichts mehr wünschen als ein "freies Sängerleben". Es gibt aber sicherlich viele Freischaffende, die gerne lieber ein Festengagement hätten, als am unteren Ende der Gagenliste "gehandelt" zu werden, und die deshalb - zumal bei wenigen Engagements - Ausfälle nicht durch hohe Gagen an anderen Abenden auffangen können.
 
Auch von anderer Seite gab es Klagen, diesmal über die angeblich übermäßig absagefreudige Sängerelite von heute. So hatte Antonio Pappano beklagt, dass die heutige Sängergeneration physisch schwächer sei und Verträge nicht einhalte (Modern opera singers 'weaker in body and more likely to pull out of shows' - The Telegraph 13. März 2013). Auslöser waren gehäufte Absagen am ROH Covent Garden. Jennifer Rowley, eine der von Pappano namentlich genannten Sängerinnen, meldete sich zu Wort (Opera Britannia 31. März 2013). In Norman Lebrechts Arts Journal "Slipped Disc" äußerten sich Fabio Luisi (The Met’s conductor responds to Antonio Pappano’s singer outburst ) ebenso Susan Graham und Rosalind Plowright (Two mega mezzos respond to maestros Pappano and Luisi on singer cancellations).
 
Inzwischen berichtet auch die deutsche überregionale Presse, - z. B.:
 
Was ist bloß mit den Starsängern los? Die Oper wird derzeit von einer Betriebskrise beherrscht: Das Geld wird knapper, die Töne werden schriller. Auch im Internet beschweren sich inzwischen prominente Sänger über die Arbeitsbedingungen. Von  (Die Welt 12. April 2013)
 
Da ist etwas in Gang gekommen! Was aber wird es bewirken können?
Alles Kommende auf der Seite

Pressebereich von "art but fair" mit zahlreichen Links
hier
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Nachtrag (2. Mai 2013)
 
 
 
Voller Stolz wird dieses Foto von der gestrigen Mai-Kundgebung in Wien präsentiert - und muss doch eher Befremden und Kopfschütteln über soviel politische Naivität auslösen. Unterstützung auch im politischen Bereich ist natürlich wünschenswert, aber strikte parteipolitische Neutralität ist für eine breite Akzeptanz oberstes Gebot. Da darf nicht der geringste Anschein erweckt werden, dass die Bewegung in das Fahrwasser einer politischen Partei - welcher Couleur auch immer - geraten sein könnte. Dieses Spruchband lässt "art but fair" aber sogar wie ein Anhängsel der SPÖ erscheinen! Also bitte Vorsicht, mehr Fingerspitzengefühl und künftig lieber Spruchbänder, Tafeln etc. nur noch mit dem eigenen Logo! Unterstützende Organisationen können und sollen sich, wenn ihnen die Sache wirklich wichtig ist, mit eigenen Mitteln präsentieren.
Auch der gute Zweck heiligt nicht jedes Mittel!

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Weitere Beiträge zum Thema:

Sänger, hört die Signale (Fabius Kulturschock Blog 24. April 2013)
Elisabeth Kulman ruft zur “Revolution der Künstler”

"Ohne euch geht gar nichts" (Homepage E. Kulman 19. Mai 2013)
Elisabeth Kulman im Gespräch mit Alexander Pereira

Podiumsdiskussion „Revolution der Künstler“ in Wien am 23. Mai 2013

 Interview und Diskussionsrunde bei den Salzburger Festspielen 2013:
Die Sängerin mit dem großen Kämpferherz (Salzburger Nachrichten 5.8.2013)
Kulman: Kunst wird nicht als Arbeit anerkannt (Salzburger Nachrichten 9.8.2013)
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