Die Händel-Festspiele 2013, die in Händels Geburtsstadt Halle an der Saale vom 6. bis 16. Juni stattfinden sollten, sind wegen des Hochwassers komplett abgesagt worden, darunter auch die für den 14. Juni vorgesehene Premiere der Oper "Almira, Königin von Kastilien". Über die schnelle und vollständige Absage der Festspiele ist ein Disput entbrannt, bis hin zu Befürchtungen, die Absage könnte das endgültige Aus für die Festspiele bedeuten. Hier der vom MDR veröffentlichte Offene Brief von Axel Köhler, Intendant der Oper Halle:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, lieber Herr Dr. Wiegand,
Sie können sich vorstellen, dass bei mir die Journalisten anfragen und meine Meinung zur Absage der Händelfestspiele wissen möchten. Bevor sie diese aus der Zeitung erfahren, möchte ich sie Ihnen auf diesem Wege zur Kenntnis geben.
Zuerst einmal möchte ich mein Mitgefühl mit allen Betroffenen zum Ausdruck bringen und allen viel Kraft und Zuversicht wünschen. Ich weiß, wovon ich rede, in meiner engsten Verwandtschaft wird es an der Elbe eine Familie innerhalb von 11 Jahren zum zweiten Mal treffen, dies allerdings mit voller Wucht, denn das Haus wird morgen bis zum Dach in den Fluten versunken sein.
Aus meiner Sicht wäre es sicher ein Gewinn gewesen, vor der Beschlussfassung eine
Eilzusammenkunft mit wichtigen Kulturschaffenden der Stadt Halle einzuberufen und sich gemeinsam eine Meinung zu bilden. Die eine Stunde wäre noch Zeit gewesen.
Es ist nachvollziehbar, dass die Händelfestspiele unter den gegebenen Umständen nicht
unbedingt am 06.06. beginnen sollten. Als Begründung wäre die öffentliche Sicherheitslage und die Bindung der Einsatzkräfte an die Orte der Überflutung plausibel gewesen. Die generelle Absage bis einschließlich 16.06. in Verbindung mit der Absage aller städtischen Veranstaltungen halte ich aus verschiedenen Gründen allerdings für ein Desaster.
Die erwarteten Künstler und die Kulturliebenden, die aus der ganzen Welt angereist wären, hätten der Stadt Halle und den von der Flut betroffenen Menschen ein unvorstellbares Maß an Solidarität und Unterstützung beschert. Es hätte spontane Benefizveranstaltungen und Gagenverzichtserklärungen gegeben. Händel wäre vom Kulturbotschafter zum Solidaritätsbotschafter geworden und hätte die Anteilnahme in vielen Teilen der Welt auf Halle gerichtet und verstärkt. Diese Chance ist durch die aus meiner Sicht übereilte Absage vertan worden.
Es ist auch nie und nimmer im Sinne Händels, genau in solchen Situationen auf die Kraft und heilende Wirkung der Kultur zu verzichten. Er hat es uns anders vorgelebt. Er selbst hat Werke zu Gunsten Bedürftiger komponiert (z.B. das „Foundling Hospital Anthem“) und viele viele Benefizveranstaltungen vom Zaun gebrochen zum Trost und zur Motivation leidender und bedürftiger Menschen.
Was mich persönlich sehr sorgenvoll stimmt, ist das Verständnis oder besser formuliert das Mißverständnis von Kultur. Wenn die Begründung der Absage lautet: „Die Stadt kann nicht feiern, wenn Menschen in Not sind“, dann wird die Kultur automatisch mit Volksbelustigung in Art einer Fanmeile auf eine Stufe gestellt, die jederzeit verzichtbar ist.
Das unterschwellige politische Signal der Absage der Händelfestspiele lautet deshalb: Wir können Kunst in dieser Situation nicht gebrauchen, wir wollen die Kunst und Kultur nur dann, wenn es uns gut genug dafür geht, als verzichtbares Sahnehäubchen also. Aber zur Bespaßung sind wir Künstler nicht auf der Welt und genau die Funktion in der Gesellschaft, die Kunst und Kultur haben sollte, hätte in dieser Notsituationen zum Tragen kommen können und müssen und hätte eine enorme positive Energie entfaltet.
Aus meiner Sicht ist der Stadt und auch den Flutopfern durch die Absage der Händelfestspiele kein Nutzen entstanden, sondern es hat sich der materielle Schaden vergrößert, das Image ist beschädigt und die Chance auf ein Handeln im Sinne Georg Friedrich Händels vertan worden. So etwas geschieht, wenn man das Grundvertrauen in das verloren hat, was den Menschen vom Tier unterscheidet: Die Kultur.
So stehe ich persönlich dazu und das wollte ich Sie als Ersten wissen lassen. Vielleicht gibt es ja die Möglichkeit, getroffene Entscheidungen wenigstens in Teilen zu revidieren, wir stehen bereit und könnten jederzeit das Unsrige dazu beitragen.
Mit allen guten Wünschen in Zeiten der Not,
Ihr Axel Köhler
Intendant der Oper Halle
(mehr auf der MDR-Seite Pro und Contra : Disput um Absage der Händel-Festspiele)
Die Oper Halle hat jetzt ihren Spielplan geändert und die Premiere von Händels
Oper "Almira, Königin von Kastilien" für den 21. Juni 2013 angesetzt:
Weitere Vorstellungen an der Oper Halle ab November 2013 (s. hier)
Die Oper "Almira, Königin von Kastilien" (HWV 1), die als einzige der von Händel für die Hamburger Oper am Gänsemarkt geschriebenen Opern erhalten und dort im Frühjahr 1705 uraufgeführt worden ist, wird kommende Spielzeit ab 25. Mai 2014 (in einer Co-Produktion mit den Innsbrucker Festtagen der Alten Musik 2014) auch auf dem Spielplan der Hamburgischen Staatsoper stehen... mehr
Nachtrag:
Zur Bespaßung sind Künstler nicht auf der Welt (FAZ 25.6.2013)
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