8. Juli 2014

Rossinis Reminiszenz an Beethoven - Musikalische Zitate in "Semiramide"

"Hör dir bitte mal an, was ich zufällig entdeckt habe, das kennst du bestimmt auch", - und dann bekam ich Klaviermusik zu hören, und plötzlich... nur wenige Takte, aber die kamen mir sehr bekannt vor. Eindeutig Rossini! Selbstzitat? Nein, ich hörte eine etwa 1802 komponierte Klaviersonate von Ludwig van Beethoven!

(Die Fundstelle beginnt bei etwa 8:30)

Und so klingt das Zitat in Rossinis Semiramide 
in der Orchestereinleitung zur Arie "Bel raggio lusinghier":

(Die Fundstelle beginnt bei etwa 1:20) 

Rossini komponierte Semiramide 1823. Im Jahr zuvor hatte er sich in Wien zur Aufführung seiner Oper Zelmira aufgehalten. Ob er dort Beethoven tatsächlich besucht hat, ist umstritten. Berichte über ein angeblich sogar relativ ausführliches Gespräch mit dem immer wieder behaupteten Rat, Rossini solle noch viele Barbieres machen, scheinen nicht sehr glaubhaft; im Internet nachzulesen ist z. B. dieser Passus aus dem Buch von Jan Caeyers "Beethoven: Der einsame Revolutionär" (S. 667):

 (zum Vergrößern bitte ins Bild klicken)

Realistischer dürfte sein, was Ferdinand Hiller in seinen Aufzeichnungen "Plaudereien mit Rossini" notiert hat: 
[Rossini:] «Richtig. Welch eine Kraft, welch ein Feuer wohnten in diesem Manne! Welche Schätze enthalten seine Clavier=Sonaten! Ich weiß nicht, ob mir dieselben nicht noch höher stehen, als seine Sinfonien; es ist vielleicht noch mehr Begeisterung darin. - Haben Sie Beethoven gekannt?»
«Ich hatte das Glück, ihn als Knabe noch wenige Wochen vor seinem Tode zu sprechen,» - erwiderte ich.
«Während meines Aufenthaltes in Wien,» erzählte Rossini, «habe ich mich durch den alten Calpani bei ihm vorstellen las­sen; aber bei seiner Taubheit und meiner Unkenntniß der deut­schen Sprache war kein Gespräch möglich. Ich freue mich, ihn wenigstens gesehen zu haben. 
(zitiert nach der Ausgabe in der Schriftenreihe der Deutschen Rossini Gesellschaft, Band 1)


Einen dieser "Schätze" aus Beethovens Klaviersonaten finden wir also in Semiramide wieder. Einfach nur geklaut? Nein, ich glaube, das ist als wirkliche Reminiszenz an den verehrten Meister gemeint. Rossini kannte und verehrte die Werke von Mozart, Haydn und Beethoven, - nicht von ungefähr kommt sein Spitzname "il tedeschino" - der kleine Deutsche.


In Semiramide ist übrigens auch ein überraschendes Wiener Souvenir zu hören: das Volkslied "Freut euch des Lebens", angeblich Metternichs Lieblingslied... Hierüber berichtet Guido Johannes Joerg ausführlich in seinem Beitrag "Zur Verwendung des Volkslieds 'Freut euch des Lebens' in den Werken Gioachino Rossinis" in "Gazzetta - Mitteilungen der Deutschen Rossini Gesellschaft" 1/1992. Ein Auszug hieraus:


In der Introduktion der Ouvertüre wird dieses Thema erst von den Hörnern vorgestellt, die es dann auch - von den Streichern umspielt - weiterführen. Im weiteren Verlauf der Oper wird diesem Hömerthema noch eine entscheidende Bedeutung zuteil, da es ohne nennenswerte Veränderungen an gewichtiger Stelle innerhalb des ersten Finales - welches hier (wie meist in Rossinis Opern) Höhepunkt der Ent- und Verwicklung ist - zitiert wird: in dem Quintett «Giuri ognuno, a' sommi Dei». ... Als meisterhafter Beherrscher der motivisch­thematischen Arbeit fand Rossini immer neue und originelle Möglichkeiten der Ver­wandlung gleichen musikalischen Materials. So veränderte er (indem er die langge­haltenen Notenwerte zu schnell wiederholten Tonrepetitionen und fioriturenhaften Tonumspielungen aufspaltete) auch das Hörnerthema mit kleinen Mitteln, aber großer Wirkung, und benutzte es in dieser Form als (erstes) Hauptthema der Sinfonia. Dieses Thema, das wiederum einen deutlich anderen Charakter als die Vorlage aufweist, er­scheint ebenfalls an gewichtiger Stelle innerhalb der Oper wieder, und zwar in dem Männerchor «Un traditor, con empio ardir» im Finale des zweiten Aufzugs. Dort wurde es aber nicht einfach zitiert, sondern durch den Wechsel des geraden in ein ungerades Metrum neuerlich geschickt verändert. 




Zum Thema Reminiszensen auch der Blog-Beitrag